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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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stärker geworden, ganz gleich, wie angestrengt er versuchte, es zu ignorieren oder mit Spott zu ersticken.
    Furcht war eine wichtige und gute Sache, im richtigen Moment, aber sie konnte auch zur Gefahr werden. Vor allem für einen Mann wie ihn, der es sich nicht leisten durfte, Furcht zu zeigen.
    Es war nicht die Furcht vor dem Sturm. Der rothaarige Hüne war praktisch auf dem Meer geboren und hatte mehr Zeit auf den Planken eines Schiffes als auf festem Boden zugebracht, und er wußte, daß die zerbrechlich aussehenden Drachenboote eine ganze Menge mehr vertrugen als diesen Sturm. Nein, es war nicht der Orkan.
    Es war eine Furcht, wie er sie noch nie zuvor kennengelernt hatte, quälend und bohrend, und er war ihr wehrlos ausgesetzt.
    Der Blick seiner großen hellblauen Augen bohrte sich in die grauen Nebelschleier, die die Flotte der Drachenboote wie eine substanzlose Mauer in allen Richtungen umgab. Irgendwo vor ihnen, nicht mehr als eine halbe Tagesreise entfernt, wenn der Sturm sie nicht weiter vom Kurs abgetrieben hatte, als er glaubte, lag die Küste eines neuen unbekannten Landes. Er hatte sie gesehen, kurz bevor sich der Himmel verdunkelte und ein zorniger Gott eisige Regenschleier und Windböen auf sie niedersausen ließ, eine dünne, schnurgerade Linie, über der es grün schimmerte.
    Das Meer an ihrem Fuß hatte weiß geschäumt, was auf Riffe hinwies, so daß sie an dieser Stelle wahrscheinlich nicht an Land gehen konnten, ohne sich die Rümpfe der Boote zu zerschlitzen.
    Aber sie waren fast drei Monde unterwegs gewesen, da spielte es kaum mehr eine Rolle, ob sie ein paar Tage mehr oder weniger vor diesem fremden Gestade kreuzen mußten, um einen geeigneten Ankerplatz zu finden.
    Eigentlich hätte Hellmark allen Grund gehabt zu triumphieren. Der breitschultrige Wikinger war alles andere als ein Abenteurer, der sich und seine Schiffe leichtfertig in Gefahr brachte, aber diese Reise war gefährlich gewesen, vielleicht gefährlicher als alles, was ein Mann seines Volkes jemals vollbracht hatte.
    Aber es hatte sich gelohnt. Der Winter hatte vor der Tür gestanden, als sie aufgebrochen waren, um einem Ziel entgegen-zusegeln, von dem sie nicht einmal wußten, ob es existierte, und die heimatlichen Fjorde und Häfen mußten längst zugefroren und unpassierbar sein, selbst für die flachrümpfigen Drachenboote. Nicht einmal die wagemutigsten Kapitäne konnten es jetzt noch wagen aufzubrechen, sondern mußten auf den Beginn des Frühjahres warten.
    Und selbst wenn ihnen jemand folgte und nicht in der unendli-chen Einöde aus Wasser, die Hellmarks Flotte überwunden hatte, verscholl oder von irgendeinem Sturm oder einer der anderen unzähligen Gefahren, die auf dem Meer lauerten, vernichtet wurde, dann würde er die neue Welt bereits fest in seinen, Hellmarks Händen finden.
    Der Wikinger lächelte. Bald, in wenigen Tagen schon, würde er als erster seinen Fuß auf den Boden dieses neuen Landes setzen.
    Seine Hand legte sich in einer unbewußten, kraftvollen Geste um den Griff seines Schwertes. Er hatte eine gute Mannschaft, jeder einzelne der hundertzwanzig Männer, die auf den fünf drachenköpfigen Booten segelten, war ein hervorragender Krieger, ein Mann ohne Furcht und Schwächen, den er persönlich ausgesucht hatte. Sollte diese neue Welt bewohnt sein, so würde er ihren Einwohnern rasch zeigen, wer ihr neuer Herr war.
    Hellmark hatte Erfahrung in solchen Dingen, und auch der Gedanke, daß ein Heer von hundertzwanzig Mann lächerlich klein war, um einen ganzen Kontinent zu erobern, schreckte ihn nicht. Er hatte schon oft bewiesen, daß es nicht auf die Anzahl der Krieger, sondern auf ihren Mut und die Intelli-genz des Mannes an ihrer Spitze ankam.
    Und trotzdem wollte sich das Hochgefühl, das er eigentlich jetzt empfinden sollte, nicht einstellen. Es war etwas in diesem Nebel, an dieser jetzt unsichtbaren Küste, das ihn beunruhigte und warnte. Die Götter dieses Landes?
    Hellmark überlegte einen Moment und tat den Gedanken dann mit einem Achselzucken ab. Auch darin hatte er Erfahrung, und es wäre nicht das erstemal, daß er bewies, daß es keine stärkeren Götter als Thor und Odin gab.
    Einer seiner Unterführer trat neben ihn und räusperte sich respektvoll, um seine Aufmerksamkeit zu erwecken. Hellmark drehte sich von der Reling weg. Er rückte mit einer halb unbewußten Bewegung den gewaltigen Hörnerhelm, der seiner imposanten Erscheinung gewissermaßen den letzten Schliff gab und ihn noch ein gutes
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