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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nacheinander fast ein Dutzend grellweißer Neon-leuchten auf. Ich blinzelte und hob die Hand vor die Augen, um mich an die plötzliche Helligkeit zu gewöhnen. Der Raum war viel kleiner als der, durch den ich gekommen war, und im Gegensatz zu diesem war hier alles aufgeräumt und sauber.
    An den Wänden zogen sich ganze Reihen deckenhoher, bis zum Bersten vollgestopfter Regale hin.
    Mein Blick fiel auf einen Glasschrank am gegenüberliegenden Ende des Raumes. Ich ging darauf zu, ließ mich in die Hocke sinken und starrte durch die Glastür. Auf den schmalen Regalbrettern lagen Totenköpfe; zwei, vielleicht sogar drei Dutzend verschieden große Schädel, die meisten auf die eine oder andere Art geschädigt und zerstört, ein paar aber auch unversehrt. Offensichtlich bewahrte Havilland in diesem Raum die Fundstücke auf, die er noch nicht aufgearbeitet hatte.
    Ich legte die Taschenlampe aus der Hand, öffnete den einfachen Riegel, der die Glastüren zuhielt, und griff nach einem besonders gut erhaltenen Totenschädel. Ich tat dies alles, ohne genau zu wissen, warum, es war, als bestimme ein anderer, stärkerer Wille mein Handeln.
    »Was tun Sie da?« sagte eine Stimme hinter mir.

    Ich fuhr erschrocken zusammen, legte den Schädel zurück und sprang so schnell auf, daß ich fast die Balance verloren hätte.
    »Was tun Sie hier unten, Mr. Craven?« fragte Becker noch einmal, und in weitaus schärferem Ton als gerade. Er wirkte nicht zornig, aber der Ausdruck auf seinem Gesicht war auch alles andere als freundlich. Er war ganz offensichtlich nicht besonders erbaut von der Tatsache, mich hier unten anzutreffen.
    »Ich … nichts«, stotterte ich verlegen, doch gleichzeitig erleichtert, ihn zu sehen.
    Becker hob vielsagend die linke Augenbraue, und ich fuhr ein wenig kleinlaut und in nicht sehr überzeugendem Tonfall fort:
    »Ich habe den Professor gesucht, wissen Sie? Die Tür stand offen, und ich dachte, er wäre vielleicht hier.«
    »Die Tür stand offen?« Becker sah mich mißtrauisch an.
    Dann zuckte er mit den Schultern. »Ein bedauerliches Versehen. Sie ist normalerweise immer abgeschlossen.
    Professor Havilland mag es ganz und gar nicht, wenn jemand hier unten herumschnüffelt.«
    Ich hatte nicht geschnüffelt, aber ich schluckte die scharfe Entgegnung hinunter, die mir auf der Zunge lag, und Becker hatte es plötzlich sehr eilig, den Raum wieder zu verlassen.
    Ich folgte ihm, blieb dann aber plötzlich wieder stehen und blinzelte mit schräggehaltenem Kopf zu einem flachen Tisch neben der Tür hinüber. Becker verharrte ebenfalls und sah ungeduldig zu mir zurück.
    »Was ist das?« fragte ich verblüfft. Auf dem Tisch lag eine langgestreckte, sehr große Gestalt. Ein Mensch, ganz eindeutig. Sein Körper war bis zum Hals von einem weißen Laken verdeckt, bloß der Kopf, umwickelt mit grauen, halbverfaulten Tüchern, schaute heraus.

    »Ein Toter«, murmelte Becker ungeduldig. »Die Mumie eines Wikingers.«
    »Und die liegt hier einfach so herum?« fragte ich ungläubig.
    Beckers Geduld war sichtlich erschöpft; er seufzte und warf einen sehnsüchtigen Blick zur Tür. Aber er schien auch einzusehen, daß er erst meine Neugier befriedigen mußte, ehe wir hier heraus konnten. »Nicht einfach so«, antwortete er.
    »Sie wurde erst vor kurzem gefunden. Der Professor ist gerade dabei, sie zu untersuchen. Der Fund ist eine Sensation, aber Havilland möchte ihn einstweilen geheimhalten.«
    »Vor kurzem?« fragte ich. »Wann genau?«
    Becker zuckte die Achseln. »Ich war nicht dabei«, sagte er. »Es müssen drei Wochen sein, denke ich.«
    Ich atmete tief durch. Ich hatte es gewußt, eine Sekunde, bevor Becker es sagte: Dieser Tote war am gleichen Tag aus seinem Grab geholt worden, an dem meine Alpträume begonnen hatten.
    Durch seine Worte erst richtig neugierig geworden, trat ich noch näher an den Tisch heran, zog das weiße Tuch mit spitzen Fingern zur Seite und beugte mich über die verhüllte Gestalt.
    Der Mann mußte mehr als zwei Meter groß gewesen sein, ein Gigant, der selbst im Tod noch imponierend wirkte. Seine Haut war da, wo sie nicht von vermodernden Bandagen, halbverfaulten Kleidern oder den Resten eines Harnisches bedeckt war, schwarz und rissig wie uraltes Leder.
    »Kommen Sie endlich«, sagte Becker unwillig. »Havilland reißt mir den Kopf ab, wenn er uns beide hier unten erwischt.«
    Er trat neben mich und schubste mich ungeduldig zur Seite, um den Leichnam wieder zuzudecken.
    Ich stolperte und
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