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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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angespannt.
    »Was haben Sie?« fragte Havilland, dem mein plötzlicher Schrecken nicht entgangen war.
    Ich schwieg einen Moment. Havillands Worte, vielleicht auch die Dinge, die er mir gezeigt hatte, ich wußte es nicht,
    hatten etwas in mir berührt, ohne daß ich mir selbst darüber im klaren war, was. Es war, als verspürte ich plötzlich eine,
    ja, eine Warnung.
    Aber eine Warnung wovor? Verwirrt drehte ich mich herum und blickte mit neuerwachtem Interesse durch den großen Raum. Ein langgestreckter, dunkler Umriß weit hinten, im dämmrigsten Teil der Halle, erweckte meine Aufmerksamkeit. Ich machte einen Schritt darauf zu, zögerte und lauschte erneut in mich hinein. Das Gefühl der Warnung schien stärker geworden zu sein, aber ich wußte weniger als zuvor, was es bedeuten sollte.
    »Was haben Sie?« fragte Havilland noch einmal. Es klang jetzt besorgt. »Sie sind blaß geworden, Mr. Craven. Ist Ihnen nicht gut?«
    Ich schüttelte hastig den Kopf und versuchte zu lächeln, spürte aber selbst, wie wenig es mir gelang. Wieder suchte mein Blick den dunklen Umriß, und diesmal erkannte ich, was es war.
    Es traf mich wie ein Hieb.
    Das große Ausstellungsstück dort drüben im Halbdunkel war ein Schiff, das Wrack eines Schiffes, zerfressen und zernagt von den Jahrhunderten, die es vielleicht auf dem Grunde des Meeres gelegen hatte, aber noch immer deutlich zu erkennen. Sein Bug reckte sich hoch in die Luft und lief in einen gewaltigen, geschnitzten Drachenkopf aus. Das Schiff auf seinem niedrigen Sockel war das Prunkstück der Sammlung, und die gesamte Ausstellung rankte sich im Grunde um das versteinerte Wikingerboot.
    Und plötzlich wußte ich, woran mich der Anblick erinnerte.
    Es war ein Drachenkopf wie dieser gewesen, den ich während der Fahrt hierher über den Feldern zu sehen geglaubt hatte. Mein Herz machte einen erschrockenen Hüpfer. Es kostete mich all meine Kraft, Havilland mein Erschrecken nicht zu deutlich merken zu lassen.
    Doch Havilland lächelte bloß, als er den intensiven Blick bemerkte, mit dem ich das Drachenschiff bedachte und drückte auf einen Schalter an der Wand. Irgendwo hinter den Karniesen erklang das leise Summen eines Elektromotors, und die Vorhänge setzten sich raschelnd in Bewegung.
    Dunkelheit und Schatten wichen, und strahlender Sonnenschein erfüllte den Raum. Meine Augen hatten sich an die Dämmerung gewöhnt, und das ungedämpfte Tageslicht kam mir für einen Moment fast zu grell vor. Aber die Helligkeit vertrieb nicht das sonderbare Gefühl der Bedrückung; im Gegenteil, das graue Zwielicht war gewichen, doch meine Verunsicherung hatte sich eher noch verstärkt.
    Vergeblich versuchte ich mir einzureden, daß ich einfach nur müde und überreizt war. Nein, mein Erlebnis vorhin während der Fahrt war keine Halluzination gewesen, und je länger ich mich darauf konzentrierte, desto unheimlicher und realer erschien mir das Bild, das ich gesehen hatte.
    Havilland mußte mich dreimal ansprechen, ehe ich es merkte und mit einem verlegenen Lächeln aufsah. »Verzeihen Sie«, murmelte ich. »Ich war … in Gedanken.«
    »Ich habe gefragt, wie Sie sich fühlen, Mr. Craven«, sagte Havilland. Er klang besorgt. »Aber ich glaube, die Antwort erübrigt sich. Sie müssen hundemüde sein.« Er schüttelte den Kopf und sah plötzlich ganz schuldbewußt aus.
    »Verzeihen Sie mir meine Rücksichtslosigkeit«, sagte er.
    »Jake wird Ihnen sofort Ihr Zimmer zeigen. Wir können morgen früh noch in Ruhe miteinander reden.«
    Ich hob rasch die Hand und machte eine abwehrende Geste.
    »So schlimm ist es nicht«, sagte ich mit soviel Überzeugung, wie ich aufzubringen imstande war. »Ich muß sagen, ich bin beeindruckt. Sie haben all diese Stücke selbst gefunden?«
    Havilland schien für einen Moment irritiert, und ich hätte mir auch, kaum daß ich die Frage gestellt hatte, am liebsten selbst auf die Zunge gebissen, angeblich war ich ja aus keinem anderen Grund hier.
    Aber er überwand seine Verwunderung auch diesmal sehr schnell. »Ich glaube, wir haben noch Zeit genug, um darüber zu reden«, sagte er. »Sie brauchen nicht übertrieben höflich zu sein, Mister Craven. Sie müssen zum Umfallen müde sein.« Da hatte er recht, aber ich schüttelte trotzdem entschieden den Kopf. »Es kommt auf ein paar Minuten nicht mehr an«, sagte ich noch einmal. Ich hatte plötzlich das sehr sichere Gefühl, daß das, was ich hier vor mir sah, wichtig war, vielleicht überlebenswichtig, nicht nur für mich.
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