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Der Sand der Zeit

Titel: Der Sand der Zeit
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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bereut; eigentlich schon nach den ersten Stunden. Land und Leute kennenlernen, ha! Das einzige, was ich auf der dreitägigen Fahrt kennengelernt hatte, waren scheußliche Autobahnraststätten, schlechte Motels, und die Bedeutung des Wortes Rückenschmerzen.

    Aber ich war zu stolz, um das zuzugeben.
    »Da vorne ist es«, sagte Becker plötzlich. Ich schrak erneut aus meinen Gedanken hoch, setzte mich ein wenig auf, faltete die Karte zusammen, legte sie ins Handschuhfach zurück und sah nach vorne, in die Richtung, in die Becker gedeutet hatte. In einer halben Meile Entfernung zweigte eine schmale Nebenstraße vom Highway ab, und Becker ließ den Wagen bereits ausrollen.
    »Noch ein paar Minuten«, sagte Becker aufatmend, »dann sind wir da. Ein ruhiges Zimmer, eine Badewanne voll heißem Wasser, und dann ins Bett und mindestens zwölf Stunden schlafen.« Er seufzte. »Paradiesisch.«
    Ich unterdrückte ein Lächeln. »Sie hätten mich doch ab und zu ans Steuer lassen sollen, Jake«, sagte ich. Einen Moment lang sah ich ihn besorgt an, dann drehte ich mich wieder herum und blickte aus dem Seitenfenster. Der Wagen war langsamer geworden und bog um die Kurve, und am Ende der schmalen, staubigen Straße erschienen die Silhouetten der ersten Häuser. Wir waren so lange unterwegs gewesen, daß ich unser Ziel fast aus den Augen verloren hatte. Und jetzt hatten wir es beinahe erreicht. Ich dachte an meine Träume und an das, was vor mir lag, und ein Gefühl der Beklemmung stieg in mir auf.
    »Sie sehen bedrückt aus«, sagte Becker plötzlich. »Freuen Sie sich nicht?« Er lächelte. »Es sind nur zehn Minuten zu Fuß zum Strand. Zum Schwimmen ist es zwar jetzt im Winter zu kalt, aber die Landschaft wird Ihnen gefallen.
    Professor Havilland hat ein paar schöne Gästezimmer, Sie werden sehen.«
    Nun ja, vielleicht tat mir eine kleine Erholungspause zwi-schendurch ganz gut. Selbst meine Kräfte waren irgendwann einmal erschöpft, und ich hatte das Gefühl, daß dieser Zeitpunkt nicht mehr allzufern war. Nicht zum erstenmal, seit ich London verlassen hatte, kamen mir Zweifel an der Richtigkeit dessen, was ich tat. Es war schon ziemlich verrückt, um die halbe Welt zu fliegen, nur um eines Alptraumes willen.
    Über den Feldern zur Rechten erschien ein langgestreckter, dunkler Schatten. Es ging zu schnell, als daß ich irgendwelche Einzelheiten erkennen konnte, aber ich schrak trotzdem so heftig zusammen, daß Becker es bemerkte und mir einen besorgten Blick zuwarf.
    »Was ist los?« fragte er alarmiert.
    Ich antwortete nicht gleich. Mein Blick glitt über die wogenden gelben Maisfelder vor uns. Der Schatten war verschwunden, so schnell, wie er aufgetaucht war, und ich war mir nicht einmal sicher, ob ich ihn wirklich gesehen hatte oder ob mir meine überreizten Nerven nur einen Streich gespielt hatten. Trotzdem …
    »Nichts«, murmelte ich. »Es war nichts, Jake. Keine Sorge.« Ich wandte mich zu Jake um und lächelte, um meine Worte zu bekräftigen, aber es gelang mir nicht ganz, das leichte Beben in meiner Stimme zu unterdrücken.
    Natürlich war es absurd, aber für einen Moment hatte mich das verschwommene Ding dort draußen an einen gewaltigen, bizarren Drachenkopf erinnert …

    Trotz Beckers Versprechungen dauerte es dann noch eine halbe Stunde, ehe wir Santa Maria De La Arenia erreichten,
    ein Dreihundert-Seelen-Kaff, das man selbst auf guten Landkarten vergeblich gesucht hätte und das im Grunde nur aus einer typisch mexikanischen Kirche, groß und weiß und sehr alt,, einem Gemischtwarenladen und ein paar Dutzend ärmlichen Hütten bestand; und Havillands Privatmuseum.
    Der Wagen hielt brummend am Straßenrand. Becker seufzte, legte den Kopf in den Nacken und schloß für zwei, drei Sekunden die Augen.
    »Endstation«, murmelte er. Seine Stimme klang erschöpft, und als er sich vorbeugte und den Zündschlüssel mit einer fast bedächtigen Bewegung herumdrehte, zitterten seine Finger.
    »Wir sind da«, sagte er noch einmal und deutete auf ein zweistöckiges, strahlend weißes Gebäude, das ein Stück zurückgesetzt von der Straße hinter einem gepflegten Rasen lag.
    »Dort?« fragte ich verwundert. Das Gebäude paßte so gut in dieses ärmliche Kaff wie ein Massai-Kral auf den Times-Square in New York gepaßt hätte, und ich gab mir keine Mühe, mein Erstaunen zu verbergen.
    Becker nickte. »Was haben Sie erwartet, Mr. Craven?« fragte er. Ich lauschte vergeblich auf einen Unterton von Spott oder Häme in seiner
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