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Mord zur besten Sendezeit

Mord zur besten Sendezeit

Titel: Mord zur besten Sendezeit
Autoren: Valerie Frankel
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Einschüchterungstaktiken

    Die Nachtluft war feucht, und der Times Square glitzerte wie Modeschmuck. Neonlichter summten, Scheinwerfer blitzten auf, und Tausende von bunten Glühbirnen sandten die Botschaft aus: New York — liebe diese Stadt oder geh dein Geld anderswo verschiuenden. Der Times Square, nachts am strahlendsten und gleichzeitig am abstoßendsten, zog die passenden Leute an, was allerdings keine besonders freundliche Aussage über diese Gegend ist. Zwielichtige Individuen, schon an ihren Pelzen als solche zu erkennen, klebten wie ausgespuckte Kaugummis am Broadway und den hell erleuchteten Querstraßen und bahnten sich einen Weg zum Dinner bei Carmine ’s mit anschließender Show. Die anderen Nomaden, die hierher und ansonsten heruntergekommen waren, ließen sich im wesentlichen als kleine Fische bezeichnen: Bettler, Taschendiebe, Hütchenspieler. Prostituierte aller Altersgruppen und Geschlechter hängen immer vor dem Playland auf der Forty-third Street herum, aber wenn man nicht auf der Suche nach Vergnügen ist, lassen sie einen in Ruhe. An Wochenendabenden, wie es dieser Freitagabend war, heizt sich die Energie auf wie erwärmte Moleküle in einem Reagenzglas. Die Kids aus Bushwick, East New York und von der Jerome Avenue — Teile von Brooklyn und der Bronx, die zu besichtigen ich noch nie den Mut besessen habe — kommen dann hierher. Mit den Kids kommen die Pistolen und mit den Pistolen die Mörder.
    Ich versuchte heute, so auszusehen, als hätte ich nicht sechs Hunderter im Portemonnaie und eine Pistole in meiner Handtasche, während ich im Rhythmus der Straße mitging und mich durch die Menschen schlängelte. Ich nenne meine 22-Kaliber-Pistole mit Perlmuttgriff >Mama<. Ich nehme Mama immer mit, wenn ich auf der Pirsch bin. Mein Kollege und Ex-Liebhaber, Alex Beaudine, ging an meiner Seite und blies mir Schwaden der Novemberkälte ins Ohr.
    »Da«, flüsterte Alex plötzlich und griff nach dem Kragen meines Kamelhaarmantels von Donna Karan. »Er geht in den Koreanerladen.«
    Ich folgte Alex’ ausgestrecktem Zeigefinger und sah, wie unser Freundchen sich durch die selbstgebastelte Plastik-und-Holz-Tür des koreanischen Spezialitätenladens an der Ecke schob. Er trug eine blau und rot gestreifte Jacke von Patagonia, Nikes mit Plateausohlen und eine grüne Wollmütze, unter der seine mausblonden Fransen in die Stirn hingen. Ich boxte Alex gegen den Arm, um ihm zu danken. Wir haben ein etwas merkwürdiges Verhältnis. Die Fußgängerampel wollte uns zwar auf unserer Straßenseite halten, aber Alex und ich wichen wahnsinnig gewordenen Taxis und einem amokfahrenden Downtown-Bus aus und gelangten unversehrt auf die andere Seite.
    Vor dem Laden zu stehen und genau zu wissen, daß der Typ drinnen ist — so etwas ist immer das Schwerste an der Sache. Ich hatte sorgfältig entworfene und gut einstudierte Pläne in bezug auf dieses Kid. Ungeduld, mein schlimmster Feind, knabberte an meinen Magenschleimhäuten. Warte, wies ich mich an. Benimm dich unauffällig. Alex und ich verschmolzen mit dem bunten Bild der Passanten, indem wir sozusagen als Kunden die Melonen am Eisstand vor dem Laden betasteten. Manche waren ziemlich fest, und ich konnte nicht davon abhalten, an meinen Freund Max zu denken.
    Irgendjemand brüllte: »Hey, du Perverser«, und ich drehte mich sofort um. Alex kicherte und sagte dann: »Ich wußte, daß du reagieren würdest.«
    »Guck mal, da drüben«, antwortete ich und packte meine Melone noch fester. Unser Typ erschien plötzlich wieder. Er marschierte auf dem Bürgersteig ganz dicht an uns vorbei. Ich fragte mich, warum er nicht stehengeblieben war, um mich anzuglotzen. Ich beschloß, ihm das nicht übelzunehmen.
    Er drehte nach links ab, und ich konnte sein Profil wunderbar sehen. Seine straßenköterblonden Ponyfransen wurden von einer plötzlichen Bö, die mit Dreck und Müll daherkam, zurückgeblasen. Er schien mindestens fünf Kilo um den Bauch herum zugenommen zu haben, das war unter seiner Patagoniajacke deutlich zu erkennen. Er eilte in Richtung Uptown. Ich lächelte Alex an. Er lächelte zurück, ganz Zahnfleisch und keine Zähne (was bei ihm eigentlich zum Dahinschmelzen süß aussieht).
    »Trödle nicht, Watson, sonst verpassen wir noch den Aderlaß«, sagte ich und beendete damit unsere Obstüberprüfung. Wenn man bedenkt, daß wir diese Operation selbst durchführen wollten, war das Risiko natürlich nicht besonders groß, daß wir sie verpassen würden.
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