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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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Schiff über Bord gegangen.« Der Motor sang, Vollgas, dann Leerlauf. Die Wellen klatschten gegen das Boot. »Wir müssen ihn retten.«
    Sie wandte sich Saxby zu. Seine Wut war verraucht, sein Gesicht gefasst, ja beinahe zerknirscht. »Ja«, sagte er, »hast recht. Ja, klar.« Und er stand auf, glich mit den Knien die schaukelnden Bewegungen des Bootes aus und hielt die Taschenlampe hoch, als könnte die Kraft des Lichtstrahls den Ertrinkenden an Bord hieven.
    »Wirf ihm ein Seil zu«, drängte sie. »Schnell!«
    Der blind um sich schlagende Mann im Wasser erinnerte sie an den kleinen, sechzig Zentimeter langen Alligator, den Saxby eines Nachts im Schein einer Taschenlampe mit einem spitzen Stab aufgespießt hatte, draußen am Teich hinter dem Großen Haus. Das Vieh war reglos dahingetrieben, nicht belebter als ein Baumstamm oder Grasbüschel, bis auf das Feuer, das seine Augen im Licht reflektierten, und dann hatte Saxby zugestoßen, und es war zusammengeklappt wie ein Taschenmesser, verschwunden, abgetaucht in die verschlungenen Tiefen, um gleich darauf blitzschnell wieder hochzufahren wie ein Stilett, wild und verletzt und zähneblitzend und sterbend. »Los, pack ihn, pack seinen Arm«, sagte Saxby und steuerte das Boot dicht heran.
    Aber der Ertrinkende wollte sich nicht am Arm packen lassen. Er erstarrte, stieß den Rettungsring von sich und brüllte sie an, brüllte ihr ins Gesicht, dass sie das Gold in seinen Zähnen blitzen sah. »Gehn weg!«, brüllte er. »Gehn weg!« Und dann tauchte er unter dem Boot hindurch.
    Danach war er verschwunden. Kein Geräusch, keine Bewegung. Der Motor spotzte, das Boot trieb ab. Auspuffgase hüllten sie ein, bitter und metallisch.
    »Total bekloppt«, stellte Saxby fest. »Muss ein Entsprungener aus Milledgeville sein oder so.«
    Sie antwortete nicht. Ihre Finger krallten sich in das bleiche, gesplitterte Holz des Dollbords, bis sich die Knöchel weiß färbten. Sie hatte noch nie jemanden sterben sehen, hatte noch nie einen Toten gesehen, nicht einmal ihre Großmutter, die netterweise während ihrer Europareise dahingeschieden war. Etwas stieg in ihrer Kehle hoch, ein dicker Klumpen aus Kummer und Bedauern. Die Welt war verrückt. Eben noch hatte ihr Geliebter sie im Arm gehalten, alles war ruhig und still gewesen, die Nacht über sie gebreitet wie eine Decke … und jetzt war ein Mensch tot. »Sax«, sagte sie flehend zu ihm, »kannst du nicht irgendwas tun? Kannst du ihm nicht nachschwimmen und ihn retten?«
    Saxbys Miene war unergründlich. Sie kannte jede Faser von ihm, kannte die Punkte, wo sie ihn verletzen und wo sie ihn beglücken konnte, sie konnte ihm die Seele herausreißen, sie mit den Händen auswringen und zum Trocknen aufhängen wie ein Taschentuch. Aber das hier war etwas Neues. Sie hatte ihn noch nie so gesehen. »Scheiße«, sagte er schließlich, und jetzt wirkte er verängstigt, das war in Ordnung, diesen Zustand erkannte sie wieder, »da ist ja kein Schwein zu sehen. Wie soll ich ihm nachschwimmen, wenn ich ihn nicht mal sehe?«
    Sie sah den Strahl der Taschenlampe, der ziellos über die Wasserfläche huschte, und dann hörte sie etwas, ein leises Plätschern, den sachten Schlag von spritzendem Wasser. »Da drüben!«, rief sie, und Saxby fuhr mit der Lampe herum. Einen Moment lang sahen sie gar nichts, dann kam das Ufer mit seinem kurzen dunklen Bart aus Strandgras ins Blickfeld, wie ein Dia, das man in den Projektor schiebt. »Da!«, schrie sie, und da war er, der Schwimmer. Er stand jetzt, das Meer klatschte gegen seine Gürtelschlaufen, ein nasses weißes Hemd hing an ihm herunter wie ein Lappen.
    »He!«, keifte Saxby, jetzt wieder wütend und aufgebracht. »He, du da? Ich rede mit dir, du Penner! Was glaubst du eigentlich –?«
    »Psst!«, warnte ihn Ruth, doch zu spät: Der Fremde war schon wieder weg, von der Vegetation verschluckt, trampelte durch das Schilf wie ein angeschossenes Reh, unerkannt. Das Meer lag wieder unbewegt im Schein der Lampe. Das Bild war leer. In diesem Augenblick trieb der Rettungsring ins Blickfeld, knapp außerhalb ihrer Reichweite, in einem Knäuel aus Seetang und Plastikmüll. »Lass mich mal –« Sie streckte sich keuchend danach aus, aber Saxby kam ihr entgegen und fuhr mit dem Boot ein Stück näher heran. Und dann hatte sie ihn, den aus dem Wasser gefischten Schatz, der nun triefend in ihrem Schoß lag.
    Sie drehte den Ring um, und da standen sie, die knallroten Schriftzeichen, die den Namen Tokachi-maru
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