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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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Plattfüßen und schlecht sitzendem Gebiss, zerrte ohne viel Erfolg an Hiros Schultern, und ein halbes Dutzend Matrosen stand johlend drum herum. Steuermann Wakabayashi in seiner makellos weißen Uniform kam in die Kombüse gestürmt, wo die Streithähne ineinander verkeilt auf dem Boden lagen, erteilte Hiro mit Stentorstimme besagten Befehl, wurde jedoch sofort darauf in einen Kessel mit klarer Brühe geschleudert, da gerade in diesem Moment das Schiff in ein Wellental zu tauchen geruhte. Die Suppe – es war ein 80-Liter-Kessel – verbrannte Hiro den Rücken, ergoss sich über den Boden und tränkte Chiba, der ohnehin für drei stank, mit der aromatischen Essenz von eingekochtem Fisch. Hiro aber lockerte seinen Griff keinen Zentimeter.
    Und was hatte einen so sanften Mann zu einer so verzweifelten Tat bewogen?
    Direkter Anlass war ein Pfannengericht aus gekochten Eiern gewesen. Hiro, der auf der Tokachi-maru unter dem betrunkenen, stinkenden Chiba und dem betrunkenen, schleimigen und aalglatten Unagi als Dritter Koch angeheuert hatte, bereitete nämlich ein nishiki tamago als Vorspeise für das Abendessen zu. Zu diesem Zweck musste er hundert hart gekochte Eier von der Schale befreien, Eigelb und Eiweiß vorsichtig trennen, beides fein hacken, gut würzen und dann wieder – ganz behutsam – miteinander vermischen und mehrere Stahlpfannen mit einer ein Zentimeter dicken Schicht davon auslegen. Das Rezept hatte Hiro von seiner Großmutter gelernt – er wusste auch noch etwa dreißig weitere auswendig –, doch in den sechs Wochen, seit das Schiff Yokohama verlassen hatte, war dies das erste Mal, dass er kochen durfte. Üblicherweise fungierte er nur als sous-chef , Laufbursche und Küchensklave, schrubbte Töpfe, polierte Gasherde, putzte Berge von aufgetauten Kalamari, Tintenfischen und Bonitos, hackte Seetang und wusch Weintrauben, bis ihm die Finger wund wurden. An diesem speziellen Nachmittag aber waren Chiba und Unagi unpässlich. Zur Feier von O-bon , dem buddhistischen Ehrenfest für die Geister der Ahnen, hatten sie seit dem Frühstück Sake getrunken, und Hiro war sich selbst überlassen geblieben, während sie sich abmühten, mit den Schatten der Verblichenen in Verbindung zu treten. Er arbeitete hart. Arbeitete voll Stolz und konzentriert. Acht Tabletts lagen vor ihm, alles aufs Feinste zubereitet. Als letzten Schliff streute er schwarze Sesamsamen über die Speise, so wie seine Großmutter es ihm beigebracht hatte.
    Das war ein Fehler. Denn in diesem Augenblick, gerade als er den Streuer über das letzte Tablett hielt, kamen Chiba und Unagi in die Kombüse getorkelt. »Idiot!«, kreischte Chiba und schlug ihm den Streuer aus der Hand, sodass er gegen den Gasherd flog. Hiro wandte das Gesicht ab und ließ den Kopf hängen. Durch seine Sandalen hindurch, tief unter den Fußsohlen, konnte er das ta-dum, ta-dum, ta-dum der Schiffsschrauben spüren, die sich schäumend im kalten grünen Wasser drehten. »Niemals«, tobte Chiba, dessen eingesunkene Brust und fleischlose Arme bebten, »niemals darfst du schwarzen Sesam für nishiki tamago nehmen.« Er wandte sich an Unagi. »Oder hast du so was schon je gehört?«
    Unagis Augen waren Schlitze. Er rieb sich die Hände, als freute er sich auf eine seltene Köstlichkeit, und nickte kurz. »Niemals«, sagte er gedehnt, wartete, wartete noch, »außer vielleicht bei Ausländern. Bei gaijin. «
    Jetzt blickte Hiro auf. Das wahre Motiv für seine Explosion, der Grund für all seine Qualen im Leben, war soeben an die Oberfläche getreten.
    Chiba trat dicht an ihn heran, sein Affengesicht hassverzerrt, Spucketropfen auf der Oberlippe. » Gaijin! «, stieß er hervor. »Langnase! Ketō! Bata-kusai! « Und dann öffnete er die geballte Faust, betrachtete einen Augenblick lang seine Finger und versetzte Hiro ohne Vorwarnung einen üblen Handkantenschlag auf die Nase. Dann nahm er sich das nishiki tamago vor. In wildem Wirbel arbeiteten seine dürren Handgelenke und eckigen Ellenbogen, als er wie ein Wahnsinniger ein Tablett nach dem anderen auf den Boden kippte. »Dreck!«, brüllte er dabei. »Hundescheiße! Schweinefraß!« Unagi betrachtete Hiro währenddessen durch halb geschlossene Lider und grinste.
    An diesem Punkt verlor Hiro die Beherrschung. Oder vielmehr verlor er nicht direkt die Beherrschung, sondern er attackierte seinen Peiniger – wie Mishima gesagt hätte: – in einer »Explosion von purem Handeln«. Das nishiki tamago bedeckte den Boden, auf dem
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