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Der Samurai von Savannah

Der Samurai von Savannah

Titel: Der Samurai von Savannah
Autoren: T. Coraghessan Boyle
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»häh?« und hob dann langsam den Kopf von ihrer Brust. »Gespürt? Was denn?«
    Aber dann erstarrte Saxby plötzlich. Sie lag auf dem Rücken und betrachtete ihn, als seine Muskeln sich mit einem Mal anspannten und er verblüfft »Was zum Teufel?« knurrte, und da blickte auch sie auf und sah direkt in die Augen einer Erscheinung. Gespenstisch und unvermutet stieg im fahlen Mondschein über dem Heck ein Gesicht auf. Es dauerte einen Moment, aber dann begriff sie: Das war ein Mensch. Ein Mensch, der sich an ihr Boot klammerte, mitten in der Nacht draußen auf dem Peagler Sound. Sie sah ihn, ja, die Haare hingen ihm in die Augen, seine Züge hatten etwas Eigenartiges, sie sah seinen verwirrten, erschöpften Gesichtsausdruck, der sich nun wie in Zeitlupe zu einer Miene des Entsetzens wandelte. Er stieß ein Quietschen aus – ein Quietschen, das die kleinlichen Grenzen von Sprache und Kultur transzendierte –, und dann, ehe sie noch Zeit hatte, sich ihrer Nacktheit bewusst zu werden, war er wieder verschwunden.
    Im nächsten Augenblick waren sie und Saxby auf den Füßen, kämpften sich in ihre Kleider und verhedderten sich mit Armen und Beinen, weil das Boot schwankte und schaukelte. »Verdammt!«, fluchte Saxby, der mit der einen Hand seine Shorts zusammenhielt und mit der anderen an der Ankerleine zerrte. »Du blöder Scheißkerl! Komm sofort zurück!«
    Wer es auch gewesen war – Gespenst, Voyeur, Scherzbold, Schiffbrüchiger oder Surfer in Seenot –, er hatte nichts dergleichen im Sinn. Im Gegenteil: Er war auf der Flucht. Ruth hörte ihn durchs Wasser pflügen, und jetzt, da sie sich abrupt aufsetzte und nach ihrem T-Shirt tastete, nahm sie ihn auch schemenhaft wahr: Der dunkle Keil seines Kopfes teilte das schwarze Wasser, etwas Weißes blitzte auf – eine Rettungsweste? ein Surfbrett? –, und die Gischt, in der das Plankton phosphoreszierte, zog hinter ihm einen Chimärenschweif.
    Fluchend wuchtete Saxby den Anker ins Boot und schleuderte ihn in den Kiel. Ein Gestank nach Schlamm, nach kotiger Verwesung, stieg ihr in die Nase. »Was ist mit dem Typen bloß los?« fauchte Saxby, und seine Hände zitterten, als er den Außenborder anwarf. »Ist das ein Perverser, oder was?«
    Ruth saß am Bug und blickte immer noch dem Schatten des fernen Schwimmers nach. »Er sah so« – sie wusste gar nicht, was sie sagen wollte, noch war ihr nicht klar, was ihr an ihm Besonderes aufgefallen war –, »er sah irgendwie merkwürdig aus.«
    »Allerdings«, knurrte Saxby, als der Motor aufheulte, »chinesisch oder so.« Und dann gab er Gas, das Boot drehte sich um seine Achse, und sie schossen davon, dem Schwimmer hinterher.
    Der Wind fing sich in Ruths Haar, als sie die Shorts anzog. Ihr Herz hämmerte. Sie war durcheinander. Was war passiert? Was taten sie eigentlich? Es blieb keine Zeit zum Nachdenken. Unter ihr klatschten die Wellen gegen das Boot, sie klammerte sich an die Sitzbank und spürte die Gischt im Gesicht. Gleich hatten sie den hektischen Schwimmer eingeholt, da fuhr sie zu Saxby herum und schrie auf.
    Auf einmal hatte sie Angst vor Saxby, zum ersten Mal in all den Monaten, die sie ihn nun kannte. Er war ein anständiger, netter, ruhiger Typ, der Campari mit Soda trank und dem seine großen Füße peinlich waren, das wusste sie, dennoch ließ sich unmöglich voraussagen, wie er in einer Situation wie dieser reagieren würde. »Du Dreckskerl!«, fauchte er, und sie sah im kalten Mondlicht, wie er die Zähne zusammenbiss. Einen Moment lang stellte sie sich vor, wie der unglückliche Schwimmer von der glatten, schimmernden Faust des Bootsrumpfes platt gewalzt wurde. »Nein!«, schrie sie, aber als sie mit der dunklen, um sich schlagenden Gestalt im Wasser auf gleicher Höhe waren, nahm er das Gas weg.
    »Jetzt wollen wir uns dieses Arschloch mal ansehen«, sagte Saxby und ließ die Taschenlampe aufleuchten.
    Zum ersten Mal sah sie den Störenfried genauer. Da war er, keine zwei Meter vor ihnen kämpfte er mit der Bugwelle des Bootes. Sie sah Strähnen rötlichen Haars, seltsam verzerrte Gesichtszüge, unergründliche Augen, in denen sich Entsetzen spiegelte, und dann schwamm er in voller Panik weg vom Boot, aber Saxby schwang das Ruder herum und folgte ihm. Er drehte durch, dieser Mann da im Wasser, er schlug um sich und keuchte, kämpfte um den Rettungsring, den er hielt, und plötzlich war ihr klar, dass er kurz davor war zu ertrinken. »Er ist am Ersaufen, Sax!«, rief sie. »Vielleicht ist er von einem
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