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Der Ruf der Pferde

Der Ruf der Pferde

Titel: Der Ruf der Pferde
Autoren: Jutta Beyrichen
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schallte ihr entgegen.
    Waren das Stimmen?
    Patricia durchfuhr ein eisiger Schreck. Man hatte sie doch nicht etwa entdeckt?
    Bitte nicht, dachte sie bei sich. Sie waren so weit gekommen, es durfte einfach nicht sein, dass man sie jetzt noch einholte und zur Umkehr zwang.
    Sie merkte, wie ein neuer Hustenreiz in ihr aufstieg, und unterdrückte ihn mit aller Macht. Auf keinen Fall durfte sie Lärm verursachen, bevor sie nicht wusste, woher diese merkwürdigen Laute kamen.
    Geduckt schlich sie näher.
    Dort lag ihr Rucksack neben dem Felsen. Und außer der einige Meter entfernt weidenden Dallis war niemand zu sehen.
    Sie musste sich getäuscht haben.
    Doch gerade, als Patricia das dachte, ertönte wieder dieses Geräusch. Es hörte sich an wie Lachen.
    Da war jemand! Und er machte sich über sie lustig!
    Patricia sprintete kurz entschlossen los. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass Dallis ein wenig erschreckt den Kopf hochwarf, doch sie blieb nicht stehen. Sie wollte nichts als nur den Rucksack packen und sich auf den Rücken der Stute schwingen, um diesen Ort möglichst schnell zu verlassen.
    Da bewegte sich der Rucksack.
    Patricia stoppte mitten im Lauf nur wenige Meter vor dem Felsen. Sie traute ihren Augen nicht. Das gab es doch gar nicht!
    Aber gleich darauf passierte es wieder: Der Rucksack rutschte ein Stück auf dem Boden entlang.
    Gespenster?
    Blödsinn!
    Patricia dachte nicht nach, sie handelte einfach. Mit drei großen Sätzen legte sie die restliche Entfernung zurück und schnappte nach den Trageriemen.
    Und sprang mit einem Schreckensschrei zurück.
    Die kleine braune Ziege war mindestens genauso erschrocken wie Patricia. Mit entsetztem Gemecker schoss sie hinter dem Rucksack hervor und floh. Als Patricia ihr fassungslos nachblickte, bemerkte sie zu ihrer Überraschung noch drei weitere Tiere, mit struppigem weißem, braunem und braun-weißem Fell und schraubenförmigen Hörnern. Sie hatten offenbar in einigen Metern Abstand gegrast und waren nun ebenfalls vor dem unerwarteten Angriff aufgescheucht worden.
    Sie liefen allerdings nicht sehr weit. Nach einigen Metern bremsten sie ab und blickten neugierig zu Patricia zurück. Besonders scheu schienen sie nicht zu sein, obwohl sie wahrscheinlich nicht sehr häufig Menschen begegneten. Patricia erinnerte sich, dass Silas auch von wilden Ziegen erzählt hatte, den Nachfahren jener Hausziegen, die von ihren Besitzern damals wie die Ponys zurückgelassen worden waren. Jetzt zählten auch sie zu den Bewohnern der einsamen, kargen Highlands.
    Doch in diesem Moment verspürte Patricia keine Lust, sich über die Herkunft der Ziegen Gedanken zu machen. Sie fühlte nur Entsetzen, als sie ihren Rucksack näher betrachtete. Die Ziegen hatten offenbar gewittert, dass sich noch ein Rest Brot darin befand, und beim Versuch, daran zu gelangen, ganze Arbeit geleistet. An der rechten Seite war das Nylongewebe vollkommen aufgerissen, und als Patricia nun mit bebenden Händen die Deckklappe öffnete, um nach dem Inhalt zu schauen, stellte sich heraus, dass die Ziegenzähne auch vor ihrer Reservekleidung nicht haltgemacht hatten. Ihr letztes sauberes T-Shirt wies nun außer feuchten Schmutzflecken auch große Löcher auf, ebenso wie der gestrickte Pullover, den Patricia nachts so dringend benötigte. Die Baumwollunterwäsche konnte sie wegwerfen, das sah Patricia mit einem Blick, und von den Socken war nur noch ein einziger einigermaßen heil geblieben. Beim raschen Durchzählen stellte sie fest, dass einige ganz fehlten, und beim Blick auf die neugierig herüberstarrenden Ziegen sah sie, wie gerade der letzte Zipfel einer ihrer guten warmen Wollsocken im eifrig mahlenden Maul des großen weißen Bocks verschwand.
    Der Apfel und das Brot waren natürlich ebenfalls spurlos verschwunden.
    Sie fühlte sich wie gelähmt.
    Das durfte nicht wahr sein, dachte sie. Nein, das konnte nicht sein!
    »Mä-ä-ä-ä. . .«, kam es von den Ziegen, die alle vier mit vorgeklappten Ohren und klugen hellen Augen nebeneinander in einer Reihe dastanden und Patricia voll Interesse zuschauten. Sie waren auch schon wieder näher herangerückt, offenbar in der Hoffnung auf einen schmackhaften Nachtisch. Angst war ihnen offensichtlich fremd, sie schienen im Gegenteil sogar recht angetan von dieser Abwechslung ihres gewohnten Alltags hier in den Bergen. Zwei der Ziegen legten den Kopf schief, als sie Patricia musterten. Patricia war überzeugt, dass die Tiere sich über sie lustig machten, und sie wäre
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