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Die Teufelssonate

Die Teufelssonate

Titel: Die Teufelssonate
Autoren: Alex van Galen
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PROLOG
    N otovich war immer für sein ausgezeichnetes Gedächtnis berühmt gewesen. Der Pianist hatte Hunderte Kompositionen im Kopf, die er problemlos hervorzaubern konnte. Selbst noch Jahre nachdem er sie einstudiert hatte. Und nicht nur die Noten, sondern auch die kleinsten Anweisungen des Komponisten, winzigste Variationen in der Dynamik. Sein Gedächtnis war ein Instrument für sich.
    Bis zu jenem Abend.
    Die Mitarbeiter des Theaters dachten, daß er nicht mehr kommen würde. Sie stritten schon darüber, wer sich mit einer kurzen Ansprache ans Publikum wenden sollte. Aber Punkt acht Uhr erschien er plötzlich in den Kulissen, lief auf die Bühne und setzte sich an den Flügel, ohne jemanden anzublicken.
    In der ersten Reihe sahen manche Leute sofort, daß etwas nicht stimmte. Notovich war aschgrau und wirkte unruhig. Sein Haar war wirr, das Hemd hing ihm aus der Hose, und ein seltsames, nervöses Hüsteln plagte ihn. Doch das war nicht das Beunruhigendste. Jeder kannte die Geschichten über das bizarre Verhalten des Pianisten, darum waren seine Konzerte so gefragt. Er strahlte eine dämonische Kraft aus, die Angst einflößte, einen aber auch in Verzückung bringen konnte. Ganz vorn saßen meistens junge, attraktive Frauen, die beileibe nicht nur wegen der Musik kamen. Ein Abend mit Notovich war spannender als ein Blind Date, vor allem wenn man das Gefühl hatte, daß er vom Flügel aus kurz zu einem herüberschaute. Ein bißchen Wirbel war also normal.
    Doch diesmal war da mehr.
    Ein Raunen ging durch die ersten Reihen. Die Besucher hinten verstanden nicht, worüber die anderen sich erregten, sie saßen zu weit von der Bühne entfernt.
    Notovich fing an zu spielen. Ein Präludium stand auf dem Programm, aber er hielt sich nie an Programme. Er begann mit der fünften Transzendentalen Etüde von Franz Liszt. Diese Etüde ist schwindelerregend schwierig, beinahe unspielbar. Kein normal denkender Mensch würde ein Konzert damit eröffnen.
    Das Raunen wallte durch den Saal nach hinten und erreichte schon bald den Direktor des Pariser Theaters, der dort stand und zuhörte. Dieser erzählte anschließend in einer Talkshow seine Version der Geschichte, in der er natürlich die Hauptrolle spielte. Er war spät im Theater eingetroffen und hatte Notovich daher nicht selbst begrüßen können (er tönte immer, daß er so ein inniges persönliches Verhältnis zu »seinen« Stars habe, aber bei schwierigen Künstlern kam er regelmäßig zu spät). Er bemerkte, daß das Publikum unruhig war, doch auch er vermochte nicht zu erkennen, warum.
    Im Laufschritt eilte er um den Saal herum. Leicht keuchend erreichte er den vorderen Eingang und schaute auf die Bühne. Von Notovich, der offensichtlich völlig in seiner Etüde aufging, war nur der Rücken zu sehen. Durch eine kleine Tür begab sich der Direktor in die Kulissen. Auch von dort aus konnte er nicht erkennen, was los war. In den ersten Reihen waren einige Leute aufgestanden und diskutierten, was zu tun sei. Andere gestikulierten, sie sollten sich setzen und still sein.
    Er mußte eingreifen, aber wie?
    Er betrat die Bühne. Der Pianist schien tief in sich versunken. Er war halb über die Tasten gebeugt, um die letzten Akkorde so gut wie möglich zu plazieren. Hinterher sagte Notovich, er wisse nicht einmal, welches Stück er gespielt habe. Als habe jemand anderes von seinem Körper Besitz ergriffen. Da sei nur die Musik gewesen. Ansonsten totale Finsternis, dumpfe Stille.
    Dem Direktor stockte der Atem, als er endlich die Ursache der Unruhe entdeckte: Der Pianist hatte Blut an den Händen. Notovich näherte sich nun den letzten Takten der Etüde und ging immer noch völlig in der Musik auf. Auch sein Hals und sein linkes Ohr waren blutverschmiert. War er verwundet? War das Blut schon vor seinem Auftritt dagewesen? Als der Direktor dem Pianisten vorsichtig die Hand auf die Schulter legen wollte, hörte er schnelle Schritte.
    Von beiden Seiten kamen Polizisten auf die Bühne gelaufen, angeführt von einem Ermittler in Zivil. An allen Ausgängen waren Beamte postiert. Im Saal brach Chaos aus. Die Leute schrien durcheinander und griffen zu ihren Handys, um die Außenwelt zu informieren. Manche filmten das Geschehen sogar.
    »Monsieur, es tut uns sehr leid, aber wir müssen Sie festnehmen.«
    Keine Reaktion. Notovich war gerade bei seinem allerletzten Akkord. Der Direktor wartete den Schluß nicht ab und legte die Hand auf Notovichs Arm. Die Musik blieb unschlüssig in der Luft
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