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Der rote Tod

Der rote Tod

Titel: Der rote Tod
Autoren: Pat N. Elrod
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unmissverständlichen Sarkasmus bei der Betonung gewisser Worte. Diesmal ärgerte ich mich für meinen Vater, nicht für mich selbst. Wie konnte sie behaupten, er sei ein Versager?
    »Dazu musst du die bestmögliche Ausbildung erhalten. Glaube nicht, dass dies bloß eine Laune unsererseits ist. Ich – wir haben die Möglichkeiten im Laufe der Jahre sorgfältig geprüft und entschieden, dass Harvard einfach nicht in der Lage ist, dir das Beste zu bieten, was möglich ist...«
    Gleich nach dem Frühstück hatte sie nach mir geschickt. Ich sollte zu ihr in die Bibliothek kommen. Ich war ein wenig besorgt gewesen und hatte mich gefragt, aus welchem Grund es diesmal Ärger geben würde. Es war noch zu früh am Tage, als dass ich etwas angestellt haben könnte, um sie zu verärgern; es sei denn, sie hätte etwas daran zu kritisieren gefunden, wie ich mein Essen kaute.
    Das schloss ich als Möglichkeit nicht aus.
    Wir hatten in ungemütlicher Stille gespeist, Mutter an ihrem Platz am langen Ende des Tisches und meine Schwester Elizabeth mir gegenüber in der Mitte, wie üblich. Vaters Platz am Kopfende der Tafel war leer, da er geschäftlich unterwegs war.
    Eine solche Stille beim morgendlichen Mahl war etwas Neues in diesem Haushalt. Sie hatte sich mit Mutters Rückkehr nach Hause schwer über uns ausgebreitet wie ein Aasgeier. Elizabeth und ich hatten gelernt, dass es besser war, für unbestimmte Zeit ruhig zu sein, als zu sprechen und damit bei ihr irgendeine missbilligende Bemerkung hervorzurufen.
    Die Bediensteten hatten nicht dieses Glück. Heute war einem der Mädchen das Missgeschick passiert, einen Löffel fallen zu lassen, und obwohl kein Schaden entstanden war, erhielt sie einen ausführlichen Tadel für ihre Ungeschicklichkeit, der sie in Tränen ausbrechen ließ. Elizabeth und ich tauschten Blicke aus, während Mutters Aufmerksamkeit von uns abgelenkt war. Es würde für alle ein schlimmer Tag werden.
    Irgendwie brachten wir eine weitere Mahlzeit unter dieser drohenden Gewitterwolke hinter uns. Wochen zuvor waren meine Schwester und ich übereingekommen, dass wir stets unsere Mahlzeit gemeinsam beenden und zur gleichen Zeit vom Tisch aufstehen wollten, sodass niemand von uns dem Unheil alleine ins Angesicht blicken müsste. So verfuhren wir wieder einmal, erbaten die Erlaubnis zu gehen und erhielten sie. Gerade war uns unsere Flucht geglückt, als einer der Diener uns einholte und die Vorladung überlieferte. Ich sollte in fünf Minuten in die Bibliothek kommen.
    »Warum hat sie nichts davon gesagt, als wir mit ihr zusammen waren?«, flüsterte ich Elizabeth zu, nachdem der Diener gegangen war. »Ist es so schwer, direkt mit mir zu sprechen?«
    »Das ist so ihre Art«, antwortete sie, ohne Hinweis darauf, dass sie diese billige.
    »Stimme einfach allem zu, was sie sagt, und wir werden später mit Vater alles in Ruhe besprechen.«
    »Weißt du, was sie will?«
    »Himmel, es könnte um alles Mögliche gehen. Du weißt, wie sie ist.«
    »Leider ja. Kann ich danach zu dir kommen? Ich könnte dich gebrauchen, damit du meine Wunden verbindest.«
    Ihr strahlendes Lächeln, das nur für mich reserviert war, brach hervor. »Ja, kleiner Bruder. Ich werde sofort nach Verbänden suchen.«
    Mutter hatte sich in den Stuhl neben Vaters Schreibtisch gesetzt. Es wäre zu weit gegangen, wenn sie tatsächlich seinen Stuhl übernommen hätte. Sie war schlau genug, das zu vermeiden. Der Gedanke dabei war, seine unsichtbare Präsenz zu suggerieren, die all ihre Taten und Worte gutheißen sollte. Das war mir sehr klar; ich ließ mich davon überhaupt nicht in die Irre führen, doch darüber würde ich sie nicht in Kenntnis setzen. In dem Monat seit ihrer Rückkehr hatte ich ihr hier bereits für ein Dutzend kleinerer Vergehen gegenübertreten müssen. Und heute begann es nicht anders als die anderen Male. Ich vermutete, dass sie die neuen Spangen an meinen Schuhen bemerkt hatte und nun mit beißendem Spott ihre Meinung zu deren Stil und Kosten darlegen wollte. Die anderen Lektionen hatten sich auf ein er ähnlichen Ebene bewegt, was die Wichtigkeit betraf. Ich war froh zu wissen, dass Elizabeth mir zur Seite stand, um meine Verbrennungen zu lindern, wenn es vorbei war.
    Mutter hatte das Gebaren eines Mitgliedes des Königshauses angenommen, das eine ersehnte Audienz gewährt. Als ich den Raum betrat, studierte sie irgendeinen Brief, ihr weiter Rock war sorgfältig arrangiert, die Neigung ihres Kopfes genau richtig. Trotzdem hätte
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