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Der rote Tod

Der rote Tod

Titel: Der rote Tod
Autoren: Pat N. Elrod
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sie keine Schauspielerin sein können, da ihre Methode viel zu offensichtlich war und sie daher in einem ernsten Drama auf der Bühne ausgepfiffen worden wäre. Vielleicht in einer Farce – ja, wenn sie die Rolle der despotischen Matrone gespielt hätte, wäre sie in einer Farce sicherlich perfekt gewesen.
    Marie Fonteyn Barrett war einst sehr schön gewesen, schlank, graziös, mit Augen so blau wie der Herbsthimmel, ihre Haut so weiß und so weich wie Milch. So sah sie auf dem Porträt über dem Kamin in der Bibliothek aus. In den zwanzig Jahren, die vergangen waren, seit es gemalt worden war, war die Milch geronnen, die Grazie hatte sich in starre Arroganz verwandelt. Die Augen zeigten noch dieselbe Farbe, aber waren kalt geworden, sodass sie weniger real wirkten als die auf dem Gemälde. Ihr Haar sah ebenfalls anders aus. Die wallenden schwarzen Locken der jungen Braut existierten nicht mehr; das Haar war nun hoch über ihrem verkniffenen Gesicht aufgetürmt und dick gepudert. Im letzten Monat war es ein wenig herausgewachsen und verlangte eine Neugestaltung. Vielleicht würde sie es sogar auswaschen. Ich konnte es nur hoffen. Ihr ständiges Herumstochern mit ihrem elfenbeinernen Kratzstab in diesem furcht- baren Haufen aus Fett und Mehl ging mir auf die Nerven.
    Die Vorhänge waren offen, und kalter Aprilsonnenschein, noch zu kraftlos, um Wärme zu spenden, drang durch die Fenster. Das Holz lag unangezündet im Kamin, sodass der Raum frostig war. Mutter hielt viel davon, im Haushalt zu sparen, sofern es nicht ihrem eigenen Wohlergehen diente. Das fehlende Feuer verlieh mir die Hoffnung, dass unser Interview von gnädiger Kürze sein würde.
    »Jonathan«, sagte sie, während sie das Blatt Papier, welches sie in der Hand hielt, beiseitelegte. Ich erkannte es als Teil der normalen Unordnung auf Vaters Schreibtisch, etwas, nach dem sie nur gegriffen hatte, um es als Requisite zu verwenden. Warum nur war die Frau so affektiert?
    »Mutter.« Das Wort kam mir immer noch nicht leicht über die Lippen.
    Sie lächelte mit wohlwollender Genugtuung, was meine Befürchtungen ein wenig größer werden ließ. »Dein Vater und ich haben eine wunderbare Neuigkeit für dich.«
    Wenn die Neuigkeit so wunderbar war, warum war Vater dann nicht hier, um sie gemeinsam mit ihr zu verkünden?
    »Wirklich, Mutter? Dann bin ich begierig darauf, sie zu erfahren.«
    »Du wirst sehr erfreut sein zu hören, dass du nach Cambridge gehen wirst, um dort dein Studium an der Universität zu beginnen.«
    Das war kaum eine Neuigkeit für mich, aber ich täuschte gute Laune vor, um sie zufrieden zu stellen. »Ja, ich bin sehr erfreut. Ich habe mich schon das ganze Jahr darauf gefreut.«
    Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, und ihre Augen verengten sich vor Arger. Vielleicht war ich nicht so erfreut, wie es erwartet worden war.
    »Ich werde in Harvard mein absolut Bestes tun, um dich und Vater stolz auf mich zu machen«, fügte ich hoffnungsvoll hinzu.
    Nun wurde ihr Mund zu einer dünnen Linie. »Du wirst nach Cambridge gehen, Jonathan.«
    »Ja, Mutter, ich weiß. Die Harvard -Universität liegt in Cambridge.«
    Irgendwie hatte ich das Falsche gesagt. Zorn verzerrte plötzlich ihre Züge und ließ ihr Gesicht rot anlaufen, sodass sie fürchterlich anzusehen war, ja, kaum noch menschlich erschien. Fast wäre ich zurückgewichen. Fast. Ihre Wutausbrüche waren nichts Ungewöhnliches. Wir hatten diese Seite an ihr viele Male gesehen und auf empirische Art und Weise zu vermeiden gelernt, aber dieser verwirrte mich. Was hatte ich getan? Warum war sie ...?
    »Du wagst es, dich über mich lustig zu machen, Jonathan? Du wagst es?«
    Ich hob eine Hand zu einer beruhigenden Geste. »Nein, Mutter, niemals.«
    »Du wagst es?« Sie erhob die Stimme so weit, dass sie mir in den Ohren gellte, so weit, dass sie die Gesindestube erreichen musste. Hoffentlich würden sie nicht so dumm sein herzukommen, um nach der Ursache für den Lärm zu sehen.
    »Nein, Mutter. Ich schwöre dir, ich mache mich nicht über dich lustig. Ich bitte ehrlich um Verzeihung, dass ich dich gekränkt habe.« Solche Worte kamen mir inzwischen leicht über die Lippen. Sie hatte mir im Laufe der vergangenen Wochen mehr als genug Möglichkeiten zum Üben gegeben. Ich schloss mit einer Verbeugung, um meine völlige Aufrichtigkeit hervorzuheben. Wieder eine neue Gelegenheit, den Boden zu studieren.
    Gott sei Dank fruchtete es diesmal. Ich richtete mich auf und sah, wie ihre Gesichtsfarbe sich
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