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Der rote Tod

Der rote Tod

Titel: Der rote Tod
Autoren: Pat N. Elrod
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normalisierte und die Falten in ihrem Gesicht sich jäh wieder glätteten. Dass sie ihre Fassung so rasch zurückgewann, verstörte mich mehr als ihr plötzlicher Wutausbruch. Seit ihrer Rückkehr hatte ich mich schnell daran gewöhnt, dass sie überhaupt nicht wie andere Menschen war, aber das war kaum ein Trost während dieser Zeiten, in denen sie ihre Besonderheiten so eindringlich zur Schau stellte.
    Nun, da sie ihre Herrschaft wieder hergestellt hatte, fuhr sie da fort, wo sie aufgehört hatte, fast so, als sei nichts geschehen. »Du gehst nach Cambridge, Jonathan. Cambridge in England, Jonathan«, wiederholte sie, wobei sie jede Silbe mit einem messerscharfen Rand versah, als ob sie meine grenzenlose Dummheit unterstreichen wollte.
    Ich brauchte einige Augenblicke, um zu verstehen, um den Fehler zu finden. Ich vermute, sie hatte von mir einen Begeisterungssturm erwartet. Stattdessen machte ich ein langes Gesicht, und von meinen Lippen sprudelten die ersten Worte, die mir in den Sinn kamen. »Aber ich will nach Harvard gehen.« Und da brach die wahre Explosion herein, und sie beschimpfte mich. Sie kennen den Rest.
    Was sagte sie gerade? Etwas über die Vorzüge von Cambridge. Ich unterbrach sie nicht, das wäre sinnlos gewesen. Sie war nicht interessiert an meiner Meinung oder an den Plänen, die ich möglicherweise hatte. Alle Einwände waren in der heißen Flutwelle ihres Zorns untergegangen. Sie wieder aufleben zu lassen würde alles nur noch verschlimmern. Wie Elizabeth mir bereits in Erinnerung gerufen hatte, konnte ich später noch mit Vater alles in Ruhe besprechen.
    Wusste Vater davon? Ich konnte nicht glauben, dass er nicht mit mir darüber gesprochen hätte, bevor er gestern abgereist war. Er hätte sicherlich etwas gesagt, denn er hatte ebenfalls geplant, dass ich nach Harvard gehen sollte. Dass sie sorgsam gewartet hatte, bis er weg war, bevor sie ihre Neuigkeiten kundtat, hatte eine neue und unheilvolle Bedeutung, aber ich konnte den Sinn dahinter noch nicht genau erkennen. Es war schwierig, darüber nachzudenken, während sie ständig weiterredete und Pausen nur einlegte, um gelegentlich, in passenden Momenten, mein Einverständnis durch Nicken einzuholen.
    Warum war sie nach fünfzehn Jahren unbekümmerter Missachtung so besorgt um meine Bildung? Marie Fonteyn Barrett war an jedem ihrer Kinder eigentümlich uninteressiert gewesen, schon seit wir sehr klein waren. Das war für uns ein zweifelhaftes Vergnügen gewesen, denn ohne Mutter aufzuwachsen hatte eine leere Stelle in unserem Leben hinterlassen. Andererseits: Was für seelisch gebrochene Monster wären aus uns geworden, wäre sie bei Vater geblieben, anstatt nach Philadelphia zu ziehen?
    Sie hatte die lange Reise von dort zu unserem Haus auf Long Island nur wegen all der Unruhen in dieser Stadt auf sich genommen. Da die Rebellen jede Gelegenheit zum Aufruhr nutzten, war es zu gefährlich geworden, dort zu bleiben. Des halb hatte sie an Vater geschrieben, und er, als der gute und anständige Mann, der er war, hatte gesagt, ihr Haus sei für sie da und die Türen geöffnet. Ihre rasche Ankunft bewog uns zu der Spekulation, dass sie seine Antwort überhaupt nicht abgewartet hatte.
    Ebenso rasch hatte sie auf ihre eigene Art die Leitung des Haushalts übernommen, wobei sie jede Ebene des Lebens und der Arbeit auf mehr oder weniger subtile Weise zerstörte. Überraschenderweise kündigten nur wenige Dienstboten. Die meisten waren Vater gegenüber sehr loyal eingestellt und waren der Ansicht, dass dies nur ein kurzer Besuch sei. Wenn die Lage in Philadelphia sich normalisiert hätte, würde Mutter uns bald wieder verlassen.
    Eine äußerst unwahrscheinliche Möglichkeit, dachte ich zynisch. Ganz bestimmt amüsierte sie sich hier viel zu gut, um uns zu verlassen.
    Sie machte eine Pause in ihrer Rede. Offensichtlich war ich bei meiner letzten Antwort zu nachlässig gewesen.
    »Das ist ... ist fabelhaft zu hören, Mutter. Ich weiß kaum, was ich sagen soll.«
    »›Danke schön‹ wäre angebracht.«
    Ja, natürlich war es das. »Danke schön, Mutter.«
    Sie nickte, auf komische Weise königlich, aber kein bisschen amüsant.
    Mein Magen begann zu wüten, in einer Reaktion auf den Sturm zwischen meinen Ohren. Ich musste sehen, dass ich hier wegkam, bevor ich explodierte.
    »Würden Sie mich entschuldigen, Mutter?«
    »Entschuldigen? Ich würde denken, dass du alle Einzelheiten hören möchtest, die wir geplant haben.«
    »Wahrhaftig, aber ich muss
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