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Der Roman eines Konträrsexuellen

Der Roman eines Konträrsexuellen

Titel: Der Roman eines Konträrsexuellen
Autoren: Emile Zola
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gar nicht mehr, nicht einmal die, die mir nahestehen.
    Neapel ist meine Lieblingsstadt, und wenn ich sie verlasse, so geschieht das mit Bedauern, selbst wenn es nur für einige Tage ist. Neapel ist fast der Orient, mit seinen riesigen Palmen und seiner blauen, in seltsamen Feuern flammenden Reede, die im Bild darzustellen unmöglich sein muß. Neapel von Franzosen mit ihrer verfeinerten Zivilisation bewohnt, müßte göttlich sein; es gäbe keine schönere Stadt auf der Welt. Hätte sie in der Zeit, da sie den Spaniern gehörte, den Engländern gehört, welch ein schönes Paradies wäre sie dann! Aber auch so, wie sie jetzt ist, ist sie prächtig; dennoch wäre sie mir verfeinert noch lieber, dann wäre sie das Paradies Mohammeds.
    Ich liebe die Natur nur in ihren wüstesten Einöden, zum Beispiel einen Wald, doch sobald der Mensch sie betritt, wünsche ich dort eine vollendete Zivilisation mit allen Feinheiten und Übersteigerungen. Ich liebe die Parks nach englischer Manier, doch die Gärten von Versailles und Caserta haben mehr Reiz für mich.
    Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, daß ich für Ihre Werke schwärme, die ich mit Begeisterung gelesen habe, obwohl der Gegenstand der letzten nicht sehr angenehm war. Das Buch, dem ich den Vorzug gebe, ist »La Curée«, in dem ich einige meiner Gefühle wiederfinde und auch die Welt, in der ich fast immer zu Hause war, in der ich geboren bin und in der ich gelebt habe. Auch »Madeleine Férat« machte einen sehr starken Eindruck auf mich.
     
    Mit dem lebhaftesten Vergnügen habe ich heute abend diese Seiten geschrieben. Das Zimmer wirkt sehr angenehm mit seinem brennenden Gas, den warmen Teppichen und dem Lärm des Hotels, das von Menschen wimmelt. Ich bin fast glücklich. Wie lange wird dieser Zustand andauern? Hoffentlich lange Zeit, und ich will nur noch daran denken, mich dessen zu erfreuen, was ich habe, ohne nach etwas anderem zu suchen. Ich habe für mich geschrieben, doch was ich geschrieben habe, sende ich Ihnen. Werde ich Ihnen zu irgendetwas nützlich sein oder habe ich meine Zeit vertan?
    Auf jeden Fall bedaure ich diese Stunden nicht. Ich habe mein ganzes Leben mit seinen schrecklichen Schmerzen und seinen schuldhaften und berauschenden Freuden noch einmal durchlebt. Ich glaubte schlafen zu können, doch die auf diesen Seiten heraufbeschworenen Erinnerungen machen mir den Schlummer unmöglich, und ich muß zu meiner Schreiberei zurückkehren, die in wenigen Stunden lange Jahre wieder in mir aufleben läßt. Auch haben mich die Enthaltsamkeit der letzten Wochen und die Reise meines Freundes, der noch nicht von Rückkehr spricht, in seltsamer Weise erhitzt, und ich fühle eine Heftigkeit des Verlangens und der Leidenschaft, die mich hindert, mich einer langen Ruhe hinzugeben. Ich kehre also zu meiner Unterhaltung mit Ihnen zurück, doch sicherlich wird dieses Blatt das letzte sein, das ich Ihnen schreibe, denn sonst, glaube ich, würde ich nie zu Ende kommen und Ihnen zum Schluß ein richtiges Buch schicken, das Sie beträchtlich ermüden würde.
     
    Immer, wenn ich meine, am Ende zu sein, finde ich doch noch etwas, das ich Ihnen erzählen muß. Auch gefällt es mir so sehr, von meiner kleinen Person zu sprechen, daß ich niemals aufhören möchte, mein Bildnis heraufzubeschwören, in dem ich mich hier wie in einem getreuen Spiegel betrachte. Ich kann mir nicht vorstellen, daß man jemals müde werden kann, von sich zu sprechen und sich in den kleinsten Dingen zu studieren, besonders wenn das Wesen, das die Natur in uns geschaffen hat, so außergewöhnlich ist, wie ich es bin.
    Ich glaube wohl, daß Sie nach allem, was ich Ihnen geschrieben habe, den Rest meines Charakters, meiner Ideen und sogar meiner Umgebung von sich aus ergänzen könnten, doch da es mir ganz besonderes Vergnügen bereitet, mache ich noch ein wenig weiter, und zwar mehr meinetwegen als Ihretwegen.
    Sie werden bereits erraten haben, daß ich Gourmand bin, fast ebenso sehr wie Brillat-Savarin selbst. Ich esse nicht viel, doch ich schwärme für gute Weine, selbst für diejenigen, die mir nicht als solche erscheinen, vorausgesetzt, sie haben einen berühmten Namen und sind teuer. Ich habe eine Leidenschaft für Wildbret; Fasane und alles fasanenartige Geflügel bilden mein Entzücken. Ich liebe seltene und stark riechende Käsesorten. Alle Raffinements der Tafel entzücken mich, und es gefällt mir bei einem Diner nur dann, wenn die Tafel glänzend erleuchtet und die Bedienung tadellos
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