Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Roman eines Konträrsexuellen

Der Roman eines Konträrsexuellen

Titel: Der Roman eines Konträrsexuellen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
festgestellt, daß meine Kameraden und Gefährten wegen Kleinigkeiten oder ähnlicher Vergehen bestraft wurden, während ich dank der unschuldigen und melancholischen Miene, die ich annahm, jeder Strafe entging.
    Ich habe stets diejenigen tyrannisiert, die mich liebten, doch ich beuge mich sogleich einer rauhen und gebieterischen Stimme. Obgleich schwach und verweichlicht, hasse ich die Schwachen und liebe nur die Starken, die kämpfen und Erfolge erringen. Ich habe es stets bedauert, die Großen und Mächtigen in ihrer Niederlage nicht trösten zu können; ich glaube, wäre ich Marie Louise gewesen, wäre ich Napoleon nach St. Helena gefolgt. Vielleicht wäre ich nicht derselben Meinung gewesen, hätte ich den Neipperg gekannt und geliebt – trotz seines Glasauges.
    Ich bewundere mit Begeisterung – das habe ich Ihnen bereits gesagt – alles, was schön und zierlich ist; aber seltsamerweise gefällt mir die grandiose, rauhe und kraftvolle Häßlichkeit an einem Mann ebenso sehr wie die Schönheit, ja vielleicht noch mehr. Ich habe eine sehr lebhafte und rege Intelligenz, trotz aller meiner Ausschweifungen und Schwächen; ich begreife alles, im Guten wie im Schlechten, und bewundere sowohl das eine wie das andere, wenn es nur nichts Gewöhnliches an sich hat.
    Die Arithmetik hab ich – abgesehen von den vier Grundrechenarten – nie lernen können, und ich könnte keine Dreisatzaufgabe lösen, obwohl ich lange Zeit einen Rechenlehrer gehabt habe. Ich verstehe auch nichts von Börsengeschäften, obwohl davon in der Familie viel geredet wurde; jetzt höre ich Gott sei Dank nichts mehr davon, denn es ist nicht mehr nötig.
    Ich lerne ein Gedicht, das mir gefällt, in fünf Minuten auswendig, so lang es auch sein mag, kann aber nicht zwei Zeilen einer Prosa, die mir zuwider ist, in den Kopf bekommen, selbst wenn ich Stunden daransetze. Ich spiele ziemlich gut Klavier, obwohl ich nie die Geduld gehabt habe, lange zu lernen. Vorzugsweise spiele ich melancholische Stücke, besonders die von Schubert und Mozart. Ich spiele auch Opern und stelle mir beim Spielen gern die Personen des Librettos und ihre Leidenschaften vor. Mein Lieblingskomponist ist Verdi, für den ich schwärme. In der Literatur ziehe ich die Beschreibungen der Gefühle und den langsamen, unvermeidlichen Fortschritt der Leidenschaften dem unnützen Plunder der Abenteuer vor. Ich wollte Ponson du Terrail lesen, doch ist es mir nicht gelungen, ich finde ihn langweilig und ganz unmöglich.
    Der historische Roman »Ivanhoe« ausgenommen, weil ich gerne glauben möchte, daß Rebecca eine meiner Urahnen mütterlicherseits gewesen ist –, gefällt mir nicht; die Romane des älteren Dumas haben mich vor längerer Zeit interessiert, doch ich fand die Zusammenstellung historischer Dokumente und die Memoiren der damaligen Zeit bei weitem interessanter. Ich besitze zahllose Bände über Marie Antoinette, meine Lieblingsheldin, und über mehrere berühmte Frauen. Ich sammle gern ihre authentischen Porträts, sogar die häßlichen, die ich niemandem zeige, um nicht wegen meiner geliebten Heldinnen erröten zu müssen. Diese bewahre ich für mich auf. Ich habe 200 Francs für Bände bezahlt, die mich gar nicht interessieren, nur um einen kleinen Stahlstich zu haben, der die Königin Marie Antoinette auf dem Schafott darstellt, nach einer Zeichnung aus dem Jahre 1793.
    Die Geschichte Frankreichs interessiert mich am meisten, obwohl ich, hätte ich eine Zeit und ein Land wählen können, um dort zur Welt zu kommen, Rom zur Zeit der Dekadence, etwa unter Hadrian, gewählt hätte (der Hof Heinrichs III. würde mir auch gefallen). Ich hätte im römischen Gewand hinreißend ausgesehen, und ich habe dieses Kostüm für einen Maskenball gewählt, wo ich mit meinen nackten Armen und Beinen und den entzückenden Sandalen, die meine nackten Zehen und ihre wie Achat leuchtenden Nägel sehen ließen, Furore gemacht habe. Der Hauptmann (ich nenne ihn so, obwohl er es nicht mehr ist) war als Gladiator dort und sah in seinem kaffeebraunen Trikot (er ist an sich schon recht dunkel), das seinen herrlichen Körper in seiner ganzen Kraft zeigte, prächtig aus; die Beine und die Brust waren mit Stahl bedeckt. An diesem Abend haben wir uns von Herzen gefreut.
    Ich habe eine wahre Leidenschaft für Tiere, besonders für kostbare Vögel und Hunde, und besitze wunderbare japanische Möpse. Früher schwärmte ich auch für Kinder, jetzt kann ich sie nicht mehr ausstehen und streichle sie fast
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher