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Der Roman eines Konträrsexuellen

Der Roman eines Konträrsexuellen

Titel: Der Roman eines Konträrsexuellen
Autoren: Emile Zola
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Weise geantwortet, die sie nur bei mir dulden, während sie auffahren würden, wenn andere es ihnen gegenüber an Respekt fehlen ließen.
    Mein Vater geht wenig in die Gesellschaft, sein Haus und die Sorge, es zu schmücken und zu verschönern, beschäftigen ihn ganz und gar, um alles übrige kümmert er sich nicht, außer um seine Enkel, die ihn anbeten und die er leidenschaftlich liebt. Ich bin auf sie sehr eifersüchtig gewesen und konnte sie nicht leiden, jetzt kümmere ich mich sehr wenig um sie.
    Ich achte sehr auf meine Gesundheit, obwohl ich mir im Alter von 15 oder 16 Jahren – vor dem Hauptmann – in der Einsamkeit, in der ich mich befand, und infolge der schrecklichen Entdeckungen, die ich an mir machte, den Tod gewünscht habe, ohne zu wissen, was er eigentlich ist. Ich sehnte mich wohl nur nach einer Veränderung in einem unmöglichen und unerträglichen Zustande.
    Ich habe dieses Gefühl schnell aufgegeben, als ich das Grauen des Nichts und der Verwesung begriff. Damals verbrachte ich nachts Stunden auf meinem Balkon, fast nackt und bei beträchtlicher Kälte, und dachte daran, mich so zu töten und meinen Leidenschaften zu entfliehen, die damals niemand befriedigte. Doch ich habe mich nicht einmal erkältet und diese Dummheiten sehr schnell gelassen.
    Ich habe seitdem gesehen, daß man, solange man lebt, genießen kann, und ich hoffe, noch meine ganze Jugend zu erleben. Vielleicht werde ich, wenn ich ihre Grenzen überschreite, noch weiter leben und 100 Jahre alt werden wollen. Das ist wohl möglich.
    Ich dusche häufig und pflege mich soviel wie möglich, um alle meine Kräfte zur Verfügung zu haben im Dienst meiner Leidenschaften und um meinen Herrn zufriedenstellen zu können, der jetzt fern von mir ist und dessen Rückkehr ich mit Ungeduld erwarte. Er schreibt mir oft und erzählt mir von Ungarn, von seinen Pferden und von den Frauen des Landes. Gott weiß, was für Streiche er mir spielt! Wenn er sich nur nicht mit Männern einläßt, das ist alles, was ich will und wünsche. Sein Geburtstag war in den letzten Tagen, und ich habe ihm eine herrliche, prachtvoll ziselierte Reitgerte geschickt. Er schreibt mir auch, daß er trotz der Reise durch die wilden und anstrengenden Länder sehr guter Laune ist und stets eine schöne Photographie von mir vor sich liegen hat. Er sagt, daß er nur an seine Rückkehr denke und oft von mir und meinem Lieblingsparfüm träume. Er sagt auch, daß er nur selten den strengen Gehrock und die eleganten Kragen ablege, die ich ihm »aufgedrängt« habe.
    Ich vergaß Ihnen zu sagen, daß ich gern möchte, daß Sie mehr Einzelheiten über die äußere Erscheinung Ihrer Figuren mitteilen. Erklärt das Physische nicht auch das Moralische der Völker und Individuen?
    Ich habe eben »Mademoiselle de Maupin« gelesen und bin davon ganz entzückt. Welch schönes Buch und welch schöne, sanfte Verdorbenheit.
     
    Entschuldigen Sie die schreckliche Schrift und alle sprachlichen und orthographischen Fehler, doch meine Seele und meine Leidenschaft rissen mich fort, und ich habe nur auf mich selbst geachtet!

Postskriptum
    In dem Hotel, in dem ich mich aufhalte, habe ich die Bekanntschaft eines Mannes in den Dreißigern gemacht. Das war im Speisesaal. Ganz offen versuchte er mich zu locken, ich habe schnell gemerkt, was er wollte. Er ist groß, sieht ganz hübsch aus, ist sehr blaß und elegant, hat lange, dünne Beine. Er ist Mailänder. Wenn ich nur wollte, wie schnell könnte es passieren! Aber würde ich mich nicht nur wieder auf ein ähnliches Abenteuer einlassen? Mein Blut ist in Wallung, und ich fürchte, daß ich der Versuchung nicht widerstehen kann. Wenn er jetzt käme, wäre es schnell passiert – das befürchte ich wohl. Wenn das der Hauptmann wüßte, gäbe das eine schöne Geschichte. Er wäre wohl fähig, mich zu erwürgen. Wir werden uns heute abend sehen. Ich ziehe mich um und gehe hinunter zum Diner. Der heutige Abend wird entscheidend sein. Ich meine bemerkt zu haben, daß er schlechte Zähne hat; er hat einen großen Schnurrbart, der seinen Mund verdeckt. Heute abend wird es sich für mich entscheiden – hoffen wir das Beste! Er wird übrigens bald abreisen, vorausgesetzt, er hängt sich nicht an mich! Es ist wohl unnötig, Ihnen zu sagen, daß ich auf der Post, wo ich meine Briefe aufgebe, einen falschen Namen und eine falsche Adresse angegeben habe. Im übrigen werde ich in einigen Tagen nicht mehr hier sein. Sie werden nichts weiter von mir erfahren.
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