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Der Riss

Der Riss

Titel: Der Riss
Autoren: Scott Westerfeld
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erkannte Melissa, wie viel Mut Beth bewies, indem sie sich mit all dem einverstanden erklärt hatte.
    „Hallo“, sagte Jonathan.
    „Du bist Dess, nicht wahr?“, sagte die Kleine.
    Dess nickte. „Genau. Woher weißt du das?“
    „Du siehst genauso aus wie auf Cassies Zeichnung.“
    Dess antwortete nicht und gab den beklemmenden Geschmack nach dem Klumpen ab, der in ihrer Kehle aufstieg.
    „Du hast dir die Haare geschnitten“, sagte Beth zu Melissa.
    Die Gedankenleserin fuhr sich mit den Fingern über den Stoppelkopf, eine nervöse Geste, die sie von Rex übernommen hatte. „Das passiert, wenn man mit dem Feuer spielt.“
    Beth stieg hinten bei Dess ein, es klirrte, als sie sich auf dem Rucksack niederließ.

    „Autsch!“
    „Gib einfach her“, sagte Dess.
    „Was ist da drin?“
    „Magisches Zeug.“
    Jonathan drehte sich um und warf Dess einen bösen Blick zu, aber die Kleine reichte den Rucksack mit äußerster Vorsicht weiter.

    Rex humpelte bei Madeleine die Treppe hinunter und versuchte, nicht daran zu denken, was in Jenks vor sich ging. Es gab Wichtigeres zu bedenken, bevor die anderen gehen würden. Er hielt Angies letzten Brief und die dazugehörigen Fotokopien – von Speerspitzen mit Doppelklinge aus einem Museum in Cactus Hill in Virginia – fest umklammert. Sie recherchierte dort über Steinzeitkulturen und half Rex bei der Suche nach einer Verbindung zu alten Funden in Südspanien. Rex hatte heute Abend ernsthafte Arbeit vor sich, Wichtigeres als die Überwachung von Abschiedsritualen.
    Außerdem musste Madeleine gefüttert werden.
    In seiner anderen Hand trug er einen Wärmebehälter mit Hühnersuppe. Nicht zu heiß natürlich. Sie konnte inzwischen selbständig trinken, aber wie ein Baby war sie zu dumm, um sich nicht die Lippen zu verbrennen. Glücklicherweise kannte sich Rex mit der Pflege von Invaliden gut aus.
    Eigentlich machte es ihm nichts aus, sich um Madeleine zu kümmern. Hier in der temporalen Kontorsion, die sie fünfzig Jahre lang beschützt hatte, störten ihn all die menschlichen Wesen dort draußen nicht so sehr. Kein Kabelfernsehen, kein schnurloses Telefon erfüllte die Luft mit Gesumm. Der Ort stank nach dreizehnzackigem Stahl, dem Rost aber schon vor langer Zeit den Biss genommen hatte. Jene Midnighter, die sich die Namen all der Waffen ausgedacht hatten, waren schon lange tot, außer Madeleine.
    Die kaum noch lebte. Melissa meinte, dass sich ihr Geist allmählich instand setzen würde, sich von dem, was ihm seine Darklinghälfte zugefügt hatte, wieder erholen würde, eine Überlebende bis zum Schluss.
    Als er die Tür zu ihrem Zimmer öffnete, sah Rex sie zu seiner Überraschung aufrecht sitzen, mit einem intelligenten Schimmer in ihren Augen. Der Geruch nach Schwäche und Tod hatte sich ein wenig verflüchtigt.
    „Madeleine?“
    Sie nickte bedächtig, als ob sie sich an ihren Namen erinnern würde. „Welcher Tag ist heute?“
    Rex blinzelte. Die rauen, gekrächzten Worte waren die ersten, die aus ihrem Mund kamen. „Samhain ist gekommen und gegangen. Der Flammenbringer hat es verhindert.“
    Sie stieß einen rasselnden Seufzer aus, ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ich wusste, dass das Mädchen was Besonderes ist. Ich hatte recht, als ich sie hierher nach Bixby gerufen habe.“
    Rex konnte dagegen nichts einwenden. Seit Samhain war er gezwungen anzuerkennen, dass Madeleine mit ihren Manipulationen über die Jahre hinweg etliche Leben gerettet hatte.
    Ihre verwaiste Midnightertruppe hatte mehr für Bixby getan als alle vorherigen Generationen zusammen. Die beiden mochten noch so kaputt sein, an diesem Punkt konnten sie sich gratulieren.
    Er setzte sich neben sie und schraubte den Deckel von der Thermoskanne.
    „Wo ist Melissa?“, krächzte sie.
    „Sie geht weg.“ Die beiden einfachen Worte versetzten ihm einen schmerzhaften Stich. Aber natürlich war das die einzige Lösung.
    „Wohin?“
    Er zuckte mit den Schultern. „Iss.“
    Sie nahm die Thermoskanne mit zittrigen Händen, hob sie an die Lippen und trank. Rex sah, wie sich ihr runzeliger Hals bei jedem gierigen Schluck bewegte. Offensichtlich war es harte Arbeit, ihren zerstörten Verstand wieder aufzubauen. Er senkte den Kopf und sah sich die Speerspitzen an, las die Zeichen der Lehre in Angies verkrampfter Handschrift. Sie waren für sein Hirn einfacher als moderne Buchstaben. Melissa fand es verrückt, wie sehr er sich über die Briefe seiner neuen Brieffreundin freute.
    Schließlich setzte
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