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Der Riss

Der Riss

Titel: Der Riss
Autoren: Scott Westerfeld
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hoch sein, man musste einfach darüber weg.
    Sie hielten sich in den Armen, als ob ihnen die Worte bereits ausgegangen wären. Melissa stand etwas abseits, mit geschlossenen Augen. Vorsagend? Kontrollierend? Oder lauschte sie einfach nur? Dess fragte sich, ob diese neue Harmlosigkeit der Gedankenleserin wirklich nützte oder einfach nur eine neue Masche war.
    Dess wartete, bis sie Jessicas Blick auffing, dann deutete sie auf Jonathan.
    Gib der armen Kleinen das zum Schluss.

    Jessica nickte und trat zurück. „Komm mit. Ich will dir etwas über die Midnight zeigen. Etwas nicht Beängstigendes. Es ist ein bisschen verrückt, aber … vertraust du mir?“
    Beth schluckte ein bisschen, wischte sich über das Gesicht, dann sagte sie leise: „Ich vertraue dir.“
    Jonathan trat vor, beide Hände ihr entgegengestreckt. „Du hast gesehen, wie wir das gemacht haben, nicht wahr? An Halloween?“
    Beth nickte, dann nahm sie vorsichtig seine Hände. Als ihre kleineren Finger die seinen umschlossen, nahm ihr Gesicht einen überraschten Ausdruck an.
    „Davon wird einem … schwindelig.“
    „Viel besser als schwindelig“, sagte Jessica lächelnd. Sie zog ihre rechte Hand aus der Tasche. Weiße Funken sprühten aufwärts. Das Armband, das sie trug, leuchtete, die kleinen Glücksbringer schillerten. Dess blinzelte von dem Licht.
    Beth starrte es mit offenem Mund an. „Was ist das?“
    „Erinnerst du dich nicht? Es ist ein Geschenk von Jonathan
    … und ein bisschen Blitz dazu.“ Jessica nahm Flyboy bei der Hand.
    Zuerst wagten sie einen ängstlichen Hopser, drei Meter hoch. Dann landeten sie nach einem höheren in der Mitte des Ackers. Schließlich legten sie richtig los, auf den reglosen Arkansas River zu. Jessicas rechte Hand leuchtete aus der Ferne, hinter sich einen funkelnden Schweif weißen Lichts über den Horizont ziehend.
    Dess spürte, wie sie lächelte, und plötzlich war sie viel weniger depressiv. Beth hatte die blaue Zeit wiedergesehen. Sie hatte fliegen dürfen.
    „Ja, ich weiß“, sagte Melissa.
    Dess seufzte. Noch einmal mit der göttlichen Hure allein.

    „Es tut mir immer noch leid, weißt du. Was ich dir angetan habe.“
    Typischer Gedankenlesertrick. Abwarten, bis die Kontrolle nachlässt, und dann sentimental werden. Dess hörte sich sagen: „Egal. Vielleicht kannst du nichts dafür. Dass du so bist.“
    „Wir haben Rex in jener Nacht gerettet.“
    So leid dann auch wieder nicht? , dachte Dess. Gegen Melissas Argumente kam sie nicht an. „Er wird dir bestimmt fehlen.“
    Melissa nickte. „Tut er jetzt schon.“
    Dess seufzte wieder. Vielleicht war doch noch ein Darkling in Bixby.
    Sie standen eine Weile schweigend da, während sie warteten, dass die anderen zurückkamen.
    „Und wie viele von uns gibt es noch da draußen?“, fragte die Gedankenleserin schließlich.
    Dess holte tief Luft, erleichtert, wieder über Mathe zu reden ohne den ganzen emotionalen Mist. „Also, wir gehen davon aus, dass man innerhalb einer halben Sekunde um Mitternacht geboren sein muss, okay? Das wäre dann einer von sechsundachtzigtausendvierhundert Leuten.“
    „In einer Großstadt sind das doch eine ganze Menge, oder?“
    „In New York ungefähr hundert. Auf der Welt … hunderttausend.“
    „Scheiße“, sagte Melissa leise, als ob sie noch nicht so richtig über das Ausmaß ihrer kleinen Reise nachgedacht hätte.
    Erstaunen löste sich von der Gedankenleserin, ein Kribbeln, das an Dess’ Armen bis in ihre Finger hinunterlief, worauf ihr Lächeln zurückkehrte. Obwohl sie hier in Bixby mit dem durchgeknallten Rex und der noch durchgeknallteren Maddy festsaß, obwohl sie die nächsten zweieinhalb Jahre in einer heftigen Sperrstundenzone verbringen musste, konnte sich Dess nicht über die Karten beschweren, die sie gezogen hatte.
    Wenn die Midnighter erst einmal eigene Wege gingen, dann saß sie nicht mehr mitten zwischen zwei Pärchen, die permanent aneinanderrasselnden Egos würden sie nicht mehr einengen. Und irgendwann würde sie sich auch von Bixby befreien.
    Kein fünftes Rad am Wagen mehr.
    Nach der Highschool, das wusste Dess, konnte sie überall einen Job kriegen. Computer, Raumfahrt, lauter coole Sachen, die noch gar nicht erfunden waren – überall wurde Mathe gebraucht. Und da sich die Midnight über den Globus ausweitete, würden zahllose Universalgenies aufwachen. Endlich würde sie mit Gleichgesinnten reden, mit Mathegenies in einer angehaltenen Zeit, in der es auf Mathe ankam. Gemeinsam
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