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Der Riss

Der Riss

Titel: Der Riss
Autoren: Scott Westerfeld
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Bixby.
    Und wir werden alle vier da sein.“
    Dess zuckte mit den Schultern. „Wenn’s um die Midnight geht, ist Vorsicht besser als Nachsicht.“
    Jonathan warf ihr einen seiner neuen gekränkten Blicke zu.
    „Dann hab ich wohl wieder das Nachsehen.“

    Melissas Blick verfinsterte sich, als der saure Milchgeschmack seiner Schuldgefühle aus ihm herausfloss. Zwei Wochen später weidete er sich immer noch an der Vorstellung, dass er die Verantwortung trug für das, was Jessica zugestoßen war. Sie seufzte leise und fragte sich, wie es sein müsste, wenn man Flyboy vierundzwanzig Stunden am Tag allein aushalten müsste.
    Wenn Rex seine Freiheit nicht ständig infrage stellen würde, könnte er vielleicht runterkommen …
    Bei dem Gedanken, Rex zurückzulassen, fröstelte Melissa leicht und riss ihre Gedanken in die Gegenwart zurück. Die Zukunft konnte sich selbst klären, nachdem sie jetzt tatsächlich eine hatten, auf die sie sich freuen konnten.
    Jonathan scherte aus der Parklücke aus und beschrieb einen weiten Bogen, mit dem er Staub auf den vertrockneten Rasen vor Dess’ Haus schleuderte. Dann raste er die nicht asphaltierte Straße hinunter, unter den Reifen spritzten Sand und Schotter auf. Wie seit Neustem üblich war er nicht in der Stimmung, über Bullen zu reden oder nach ihnen Ausschau zu halten.
    Melissa machte es sich auf dem Beifahrersitz bequem und schickte ihren Geist über die leeren Flächen am Rande der Stadt, stets wachsam. Seit der Hysterie hatte die Sperrstunde hier in Bixby eine ganz neue Bedeutung bekommen.
    Die offizielle Story war natürlich der blanke Hohn. Eine seltene Kollision von Luftmassen über dem Osten von Oklahoma hatte eine Rekordzahl an Blitzen und hirnerschütternden Donnerschlägen hervorgerufen. Im ganzen Land war der Strom ausgefallen, und verschiedene elektrische Felder hatten selbst batteriebetriebene Geräte und Autos zum Erliegen gebracht. Dieses Naturphänomen – neben statistischen Häufun-gen von Herzattacken, Feuerwerksdiebstahl und kostümierten Halloweenclowns – war der offizielle Grund für die Panik.
    Nichts von alldem erklärte die verstümmelte Leiche eines Campers, der in der Nähe von Jenks gefunden worden war, oder die siebzehn Menschen, die noch immer vermisst wurden. Aber als Rationalisierung für alle, die in jener Nacht nicht wach und im Inneren des Risses gewesen waren, reichte es aus.
    Natürlich gab ein es ein paar konspirative Typen mit viel besseren Theorien. Melissas liebste waren die über den elektromagnetischen Impuls aus einem Versuchsflugzeug auf der neuen Landebahn (die noch gar nicht gebaut war) und die mit den psychedelischen Pilzen in der städtischen Trinkwasseranlage.
    All das entsprang teilweise dem Wunsch, zu verstehen, oder besser, wegzuerklären, was passiert war. Alles, um sich nicht mit der Wahrheit zu konfrontieren – dass das Unbekannte zu Besuch vorbeigekommen war.
    Eine Gewissheit blieb allerdings: Halloween in Bixby würde nie mehr sein, was es war.
    Sie kamen kurz vor elf bei Jessicas Haus an.
    Drinnen brannte kein Licht, beide Autos parkten in der Einfahrt. Auf dem Rasen stand noch kein „Zu Verkaufen“-
    Schild und auch sonst nichts, wodurch sich das Haus von den anderen in der Straße unterscheiden würde. Trotzdem sah es irgendwie anders aus, obwohl sie ihren Geist noch nicht hineingeschickt hatte. Trauriger.
    „Ziehen sie wirklich weg?“, fragte Dess.
    „Das wird in der Schule getuschelt“, sagte Flyboy. Er sah Melissa fragend an.
    Sie nickte, in ihrem Mund sammelte sich der verbrannte Kaffeegeschmack nach Verärgerung, die sich noch immer an eine Hoffnung klammerte. „Sie wissen es nicht genau. Warten immer noch auf einen klaren Beweis, schätze ich.“
    „Warten ist scheiße“, sagte Dess, und Jonathan nickte.
    Und dann warteten sie.
    Nach etwa fünfzehn Minuten kletterte sie zum Fenster hinaus und ließ sich unbeholfen in die Büsche plumpsen. Ihre Jacke sah zu groß für sie aus, und sie hielt sich krumm, die ganze Zeit mit den Händen tief in den Taschen.
    Als sie fast auf der Straße angekommen war, schaltete Jonathan seine Scheinwerfer ein. Sie wirbelte zu dem Wagen herum, und plötzlich schoss Angst durch die Luft. Eine Sekunde lang dachte Melissa, sie würde kneifen und direkt wieder unter die Bettdecke kriechen.
    Aber dann stand sie am Autofenster. Ihre Angst pulsierte in Melissas Kopf, hinter ihrem Misstrauen war die fest zusammengeballte Trauer in ihrem Bauch kaum noch wahrnehmbar. Plötzlich
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