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Der reiche Mann

Der reiche Mann

Titel: Der reiche Mann
Autoren: Georges Simenon
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trank einen Schoppen Weißwein, während er sich eine Zigarette drehte, und kam rechtzeitig nach Marsilly zurück, um die Muscheln zu waschen, die Körbe zu verschließen und sie in dem ersten Lastwagen zu verladen, denn davon hing alles ab. Doudou begleitete ihn nicht nach La Rochelle. Er fuhr allein dorthin. Ohne es zu wollen, mußte er heute an Alice denken, die unter ihrem schwarzen Baumwollkleid nackt zu sein schien. Weil sich das Kleid so eng tun ihren mageren Körper spannte, hätte er schworen mögen, daß sie nichts darunter trug, ja vielleicht nicht einmal einen Schlüpfer.
    Und da erinnerte er sich wieder der Geschichten, die man erzählt hatte, von dem dicken schwitzenden Paquôt, der ihr Kleid hochgezogen hatte und ihr sein Glied in die Hand schob.
    Das war krankhaft. Er ärgerte sich, daß er diese Bilder heraufbeschwor. Das Mädchen war nicht schön und wirkte schmutzig. Im Dachgeschoß, wo sie ihr Zimmer hatte, gab es kein Badezimmer, nur einen großen Waschzuber.
    Kurz vor dem Bahnhof bog er links zum Güterbahnhof ein. Er mußte zum Inspektor vom Gesundheitsamt, der in einer Art Glaskäfig thronte.
    »Tag, Lecoin.«
    Der Inspektor sagte nicht Chef. Er war ein von seiner Bedeutung ganz durchdrungener Beamter.
    »Wie viele Körbe?«
    »Zweiundsechzig.«
    »Alle aus Marsilly?«
    »Zweiundzwanzig sind aus Charron.«
    Er füllte geduldig die notwendigen Formulare aus, die jeden Korb begleiten mußten.
    »Sind alle für Frankreich bestimmt?«
    »Nein. Ein paar gehen in die Schweiz und etwa zwanzig nach Algerien.«
    Er drehte sich eine neue Zigarette und nahm dann die Körbe aus dem Lastwagen heraus, um sie in die Eilgutabfertigung zu tragen und vor der Waage aufzureihen.
    Nachdem er die abgestempelten Formulare zurückerhalten hatte, befestigte er sie an jedem Korb, und der Wiegemeister kam herbei.
    »Tag, Chef.«
    Jetzt war er wieder der Chef.
    »Haben Sie sie gewogen?«
    »Ja. Das Gewicht stimmt.«
    »Trotzdem werde ich einige kontrollieren.«
    Lecoin gab ihm zehn Francs Trinkgeld und nahm das Blatt, das er an der Kasse vorlegen mußte.
    Man kannte ihn schon seit einer Ewigkeit. Er kannte alle Beamten und hatte die Gewohnheit, sie einen wie den anderen Toto zu nennen.
    »Nun, Toto, was macht das Angeln?«
    Denn der Kassierer angelte im Maranskanal.
    »Es ist nicht glänzend, aber ich kann mich trotzdem nicht beklagen. Aale natürlich.«
    Der Kanal wurde nicht mehr benutzt, und sein Grund war mindestens dreißig Zentimeter hoch mit Schlamm bedeckt.
    Er zog eine dicke Brieftasche aus der Tasche seiner Lederjacke, denn er zahlte in bar wie die Viehhändler. Die Ränder der Brieftasche waren abgenutzt und die Nähte an einigen Stellen geplatzt, aber er kam gar nicht auf den Gedanken, sich eine andere zu kaufen. Nicht aus Geiz, sondern weil ihm das gleichgültig war.
    Auch der Kassierer bekam sein Trinkgeld.
    »Danke, Chef. Kommen Sie morgen?«
    »Wenn ich genug Muscheln bekomme.«
    Es würde eine Stunde später Ebbe sein, das heißt um zehn Uhr vormittags. Man würde an den ersten Bänken ab acht Uhr arbeiten können, wenn das Meer sie freigab. Das war die Gelegenheit, auch die Austernbänke in Ordnung zu bringen.
    Er steckte seine Brieftasche wieder ein und kletterte in seinen Lastwagen, fuhr über die Bahnsteige, an dem Turm mit der großen Uhr vorüber und parkte ein Stück dahinter. Er ging etwa hundert Meter und dann in eine Bar, die ›Le Repos du Marin‹ hieß.
    »Hallo, Victor«, rief die Frau, die hinter der Theke stand. »Wir haben uns ja schon eine Ewigkeit nicht gesehen.«
    Nur hier nannte man ihn Victor. Selbst seine Frau hatte es sich angewöhnt, ihn Leeoin zu nennen.
    Nenette war vertraulicher. Sie war eine kleine, rundliche Frau von etwa fünfundvierzig Jahren, die sich ihre ganze Frische erhalten hatte. Er hatte sie schon gekannt, als sie noch auf den Strich ging. Das war jetzt über zehn Jahre her, und hin und wieder, wenn er keine andere fand, die ihm gefiel, war er mit ihr hinaufgegangen. Die Bar war klein und langgestreckt. Zu dieser Zeit war fast kein Gast dort, übrigens Nenette hatte lieber immer nur einen Gast auf einmal, zumal wenn er wie Lecoin war.
    »Was nimmst du?«
    Er zwinkerte im Spiegel hinter den Flaschen zwei Mädchen zu, die auf hohen Hockern saßen und ihn beide musterten. Er konnte sich nicht an sie erinnern.
    Die eine der beiden war mollig, hatte ein Gesicht mit einem naiven Ausdruck und ein idiotisches Lächeln. Die andere war eine Brünette, die so tat, als ob sie
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