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Der reiche Mann

Der reiche Mann

Titel: Der reiche Mann
Autoren: Georges Simenon
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Mädchen abgegeben. Ist sie tüchtig?«
    »Was heißt tüchtig? Sie braucht nur reinzumachen, denn ich koche selbst.« Kurz darauf gingen sie ins Eßzimmer, und Alice servierte unbeholfen. Ohne recht zu wissen, warum, vermied Lecoin es, sie anzublicken. Übrigens hatte sie nichts Anziehendes. Sie war mager und sah aus, als hätte sie einen Besenstiel verschluckt, hatte ein Durchschnittsgesicht und dunkles, strähniges Haar, das an beiden Seiten des Gesichts herunterhing.
    Sie aßen gegrillten Schinken mit Kartoffeln und Kohl aus dem Garten. Danach gab’s ein paar Äpfel und Birnen, die sie auch selbst geerntet hatten.
    Das Haus war das größte und schönste im Dorf. Es war etwa zweihundert Jahre alt und hatte lange einer Adelsfamilie gehört. Der letzte Bewohner, Charles de Rosy, war ein alter Junggeselle, der, um sein Wappen neu zu vergolden, an der Börse spekuliert und dort seine letzten Federn gelassen hatte.
    Bei der Versteigerung von Grund und Boden war beides Lecoin zugeschlagen worden.
    Vor vierzig Jahren hatten die besten Äcker in Marsilly und die meisten Bauernhöfe der Familie Rosy gehört. Auf einem dieser Höfe war Victor Lecoin geboren, denn sein Vater war damals dort Knecht.
    Jetzt gehörte ihm das Steinhaus, das manche das Schloß nannten, ebenso der Haupthof, ganz abgesehen von den Äckern hier und dort. Doudou aß nicht im Haus. Man hatte versucht, ihn dazu zu bewegen, aber er hatte es immer abgelehnt. Er hauste in einer Art Hütte hinten im Hof, wenige Meter von der Garage entfernt, und bereitete sich seine Mahlzeiten selbst. Es hieß, er esse alles, was ihm in die Finger komme, selbst Raben.
    Er war in der Gegend geboren, war der Sohn Fernandes, einer Säuferin, die keinen Mann hatte und die die Männer aufsuchten, wenn sie betrunken waren. Sie war nicht jung, schmutzig und lebte in einer Kate etwa fünfzig Meter vom Meer entfernt.
    Sie war gestorben, als Doudou zwölf Jahre alt war, und die Lecoins hatten ihn adoptiert, um zu verhindern, daß er in eine Anstalt kam. Er war stark, stärker als Lecoin, aber er tat niemandem etwas zuleide. Er hatte einen riesigen Kopf, hellblaue Augen und eine Stupsnase. Seine Arme waren sehr lang, und seine Hände konnten alles zermalmen.
    »Fährst du nach Charron?«
    »Gleich nach dem Essen werde ich mit dem anderen Lastwagen hinfahren. Die ganze Ladung muß vor fünf in La Rochelle sein.«
    Das Eßzimmer war groß und hoch wie alle Räume des Hauses. Es war direkt mit der Küche verbunden, in der sich gute Gerüche mit dem Geruch von Bohnerwachs mischten.
    Zwischen Lecoin und seiner Frau gab es keine Liebe, nur die Gewohnheit des Zusammenlebens. Jeder hatte seine bestimmte Aufgabe. Außer über Muscheln und Austern hatten sie sich nicht viel zu sagen.
    Jeanne war nicht eifersüchtig. Schon seit Jahren hatte sie keinen Geschlechtsverkehr mehr mit ihrem Mann, obwohl sie weiter im selben Bett schliefen.
     
     
    »Kommst du zeitig nach Hause?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Ungefähr einmal in der Woche kam er erst um zehn Uhr abends zurück, und an diesen Tagen war er halb betrunken. Es waren die Tage des ›Bummelns‹, wie er das nannte.
    Heute, am Freitag, wußte er noch nicht, ob er abends ›bummeln‹ würde. Das würde sich erst später herausstellen.
    Doudou war dabei, die Muscheln zu waschen. Es war Anfang März, und der Himmel hatte jenes Lavendelblau, das für die Umgebung von La Rochelle typisch ist. Das Wetter war mild. Die erste Biene summte im Eßzimmer, und am Morgen hatte man über den Muschelbänken nur zwei Weine, weiße Wolken gesehen, die wie Ballons träge dahintrieben.
    Unwillkürlich warf Lecoin hin und wieder einen Blick zu Alice hin, und er fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Haut.
     
     
    Jedesmal wenn er die Muscheln aus einem Korb gewaschen hatte, wog Doudou den Korb, band den Deckel mit Bindfaden zu und setzte ihn in den Lastwagen. Währenddessen schrieb Jeanne Lecoin im Büro den Namen des Empfängers und den Bestimmungsort auf einen gelben Zettel.
    Lecoin hatte den zweiten Lastwagen genommen, um nach Charron zu fahren, einem Dorf mit niedrigen Häusern mitten im Moor, in dem es schon nach der Vendée roch. Er erstand nur etwa zwanzig Körbe, denn es gab dort Konkurrenz, und viele Muschelzüchter besaßen selbst einen Lastwagen.
    Er ging auch in die Kneipe, um sich zu zeigen, um zu unterstreichen, daß es ihn gab. Statt eines Kartenspielertischs gab es hier zwei. »Tag, Chef.«
    Auch hier war er der Chef, der bedeutende Mann. Er
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