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Der Raben Speise

Der Raben Speise

Titel: Der Raben Speise
Autoren: F.G. Klimmek
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eines einzigen Talers, seinen Erfolg in Frage zu stellen wagte? Dazu brauchte kein Gericht zusammenzutreten, war kein förmliches Urteil vonnöten. Den Schuldspruch schenkte sich der fette Franz, der in seiner feixenden Art gleich zur Verkündung des Strafmaßes gekommen war, das da lautete, er würde mich Verräter an diesem entscheidenden Tage den drei verteufelten Aufrührern hinzugesellen und in diesem Stück ebenfalls die Hauptrolle spielen lassen.
    Nach diesem Auftritt, der ihn köstlich zu amüsieren schien, wurde ich in einem fensterlosen Keller eines Hauses in unmittelbarer Nähe des Marktes arretiert, weil, so ließ man mich wissen, man mir als letzte Gunst den Weg zur Hinrichtungsstätte nicht allzu lang machen wollte. Licht viel nur spärlich durch eine winzige Gitteröffnung in der Tür herein, und nach einer Weile verlor ich jegliches Zeitgefühl. Mein Wärter, der mich mit kargstem Essen und Wasser versorgte und sich einen Teufel um die Entleerung meines Kübels kümmerte, war ein junger, stabiler Bursche, der stets von zwei Wachen begleitet wurde und offensichtlich ebenso wie diese die Order hatte, kein Wort mit mir zu sprechen.
    Das tat erst wieder ein Mensch, auf dessen Gegenwart von allen anderen ich am meisten verzichten konnte: Pankratius. Er, mein liebster Feind und ständiger Missgünstling, kam, ganz fleischgewordene Häme, mit einem Mann im Schlepptau, den ich bis dahin noch nie gesehen hatte. Ohne wirklich eine Antwort zu erwarten erkundigte er sich überschwänglich nach meinem Wohlbefinden und unternahm dabei nicht den geringsten Versuch, sein widerwärtiges Grinsen zu unterdrücken. »Große Dinge erwarten dich, mein Bester, die man nur ertragen kann, wenn man in ausgezeichneter körperlicher Verfassung ist. Doch ich sehe ja, dass die Schonkost der letzten Tage wahre Wunder gewirkt und eine schlanke Gestalt geschaffen hat, die so einiges wird aushalten können. – Ich habe dir einen Gast mitgebracht, der den Wunsch geäußert hat, dich vor eurem morgigen Zusammentreffen einmal persönlich kennen zu lernen.« Dabei gluckste der Misthund in sich hinein wie eine zahnlose Vettel, die nach Jahren der Abstinenz von einem blinden Galan zu einem letzten Rendezvous gebeten wird.
    Der Fremde war ein mittelgroßer, unauffälliger Mann mit kurzem Bart. Er hatte etwa mein Alter und trug dunkle, zweckmäßige Kleidung ohne jeden Zierrat. Trotz des Gestanks in diesem Loch verzog er keine Miene, was darauf schließen ließ, dass er einiges gewöhnt war. Nachdem wir uns eine Weile schweigend gemustert hatten, stahl sich ein Anflug von Heiterkeit in seine Mundwinkel. »Ihr müsst die Störung Eurer Ruhe entschuldigen, aber es ist mein Prinzip, mir vorher die Leute anzuschauen, die dafür verantwortlich sind, dass ich die geplante Abfolge meines Auftrags ändern muss. – Wir sehen uns dann morgen.«
    Er musste meine Frage erwartet haben, denn ich kam nur bis zum »Wer ...?«, als er sich in der Tür noch einmal umdrehte. »Der Henker von Paderborn.« Das anschließende Lachen des schmierigen Pankratius würde mir bis an mein Lebensende in den Ohren gellen.
    Am nächsten Morgen erschien der eklige Speichellecker erneut, diesmal im Auftrag des Bischofs, wie er betonte, um mich »für meinen letzten großen Auftritt in Münster zu unterweisen und mich darin zu bestärken, bis zum Schluss die Fassung zu bewahren.« Schließlich dürfe man vom ehemals besten Spion seiner Exzellenz ja wohl eine gewisse Haltung erwarten. Als er mir endlich eröffnete, was man sich mit mir vorgestellt hatte, war er zumindest so fair, mein Würgen abzuwarten und mir nach dem Kotzen ein Tuch zu reichen, mit dem ich mir den Mund abwischen konnte. Anschließend ließ er mir neue, aber einfachste Kleidung bringen, weil man »dem Volk den Geruch eines wandelnden Bottichs voller Scheiße nicht zumuten« könne – womit er im Ergebnis Recht hatte; denn meine Kleider waren nach den Tagen meiner Einkerkerung keine Wäsche mehr wert. Sodann ließ er mir eine Kapuze über den Kopf ziehen, um »seiner allerdurchlauchtigsten Eminenz die Blamage zu ersparen, aller Welt zu offenbaren, dass sein ehemaliger Vertrauter nun das Schafott besteigen würde«. Und nun solle ich mich beeilen, die Vorstellung müsse beginnen.
    Das folgende Geschehen erlebte ich wie durch einen Schleier, ein berauschter Beobachter, dem jeder Sinnzusammenhang verschlossen blieb.
    Nach uns bestiegen der Richter der Stadt Johann Wesseling und seine Beisitzer Hermann Herde
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