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Alles aus Liebe: Roman (German Edition)

Alles aus Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Alles aus Liebe: Roman (German Edition)
Autoren: Liane Moriarty
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    Bei »Hypnose« denkt jeder an schwingende Pendel, an den Satz »Sie werden schläfrig« und an Leute, die in Shows auf der Bühne dazu gebracht werden, wie Hühner zu gackern. Daher ist es nicht verwunderlich, dass viele meiner Patienten ziemlich nervös sind, wenn sie das erste Mal zu mir kommen. Aber Hypnose hat nichts Widernatürliches oder Beängstigendes an sich. Es ist sogar sehr gut möglich, dass Sie diesen tranceartigen Zustand aus eigener Erfahrung kennen. Sind Sie jemals eine vertraute Strecke gefahren und konnten sich, als Sie am Ziel angekommen waren, überhaupt nicht an die Fahrt erinnern? Sehen Sie, das kommt daher, dass Sie sich in einer Art Trance befunden haben!
    A US DER I NFORMATIONSBROSCHÜRE E LLEN O’F ARRELL, P RAXIS FÜR H YPNOTHERAPIE – EINE E INFÜHRUNG
    Ich war noch nie hypnotisiert worden. Ehrlich gesagt glaubte ich auch nicht wirklich an Hypnose. Ich hatte vor, einfach dazuliegen und so zu tun, als ob es funktionieren würde – und zu versuchen, nicht zu lachen.
    »Die meisten Menschen sind überrascht, wie sehr sie das Hypnotisiertwerden genießen«, sagte die Hypnotiseurin sanft.
    Sie trug weder Make-up noch Schmuck. Ihre Haut wirkte so fein und zart und durchscheinend, als ob sie sich ausschließlich mit dem klaren Wasser von Gebirgsbächen wüsche. Sie duftete wie einer dieser überteuerten Kunstgewerbeläden, die in ländlichen Gegenden zu finden sind: nach Sandelholz und Lavendel.
    Es war warm in dem winzigen Zimmer, einem ungewöhnlichen Raum, der seitlich ans Haus angebaut war wie ein verglaster Balkon. Der Teppich mit seinen verschossenen rosaroten Rosen hatte schon bessere Zeiten gesehen, aber die Fenster, die vom Fußboden bis zur Decke reichten, waren neu und durchfluteten den Raum mit Licht. Ich hatte das Gefühl, dass eine frische Brise durch meinen Kopf rauschte – es roch tatsächlich nach Meer.
    Wir standen nebeneinander ganz nah am Fenster, die Hypnotiseurin und ich. Mit der Nase so dicht an der Scheibe konnte man den Sandstrand unterhalb des Hauses nicht sehen, nur das Meer, das sich bis zur blassblauen Linie des Horizonts erstreckte. »Als ob man auf einem Schiffsbug stünde«, sagte ich zu der Hypnotiseurin. Sie schien sich unbändig über diese Bemerkung zu freuen und riss die Augen weit auf. Ihr gehe es ganz genauso, meinte sie.
    Wir setzten uns einander gegenüber, ich in einen Ruhesessel aus weichem grünem Leder, sie in einen rot-beige gestreiften Lehnsessel. Auf einem niedrigen Beistelltisch zwischen uns lag eine Schachtel Papiertaschentücher – wahrscheinlich muss der eine oder andere weinen, wenn er sich an sein früheres Leben als hungernder Bauer erinnert; daneben standen ein Krug eisgekühltes Wasser, auf dem zwei kreisrunde Zitronenscheiben schwammen, sowie zwei hohe Gläser, eine kleine Silberschale mit Konfekt und ein flaches Tablett mit kleinen bunten Glasmurmeln.
    Ich besaß einmal eine große, altmodische Murmel, die meinem Vater gehört hatte, als er noch ein kleiner Junge war. Ich hatte sie bei Prüfungen und Bewerbungsgesprächen immer als Glücksbringer in der Hand gehalten. Aber dann, vor ein paar Jahren, habe ich sie verloren und mein Glück mit ihr.
    Ich schaute mich um. Das gleißende Licht wurde vom Meer wie von einem Prisma an die Wände zurückgeworfen, was in der Tat eine hypnotisierende Wirkung hatte. Die Hypnotiseurin hatte die Hände im Schoß gefaltet und ihre Füße nebeneinander auf den Boden gestellt. Sie trug flache Ballerinas, schwarze Strümpfe, einen bestickten Rock im Folklorelook und einen cremefarbenen Wickelcardigan – New Age und klassisch zugleich.
    Was für ein herrliches, ruhiges Leben du haben musst, dachte ich. Jeden Tag in diesem außergewöhnlichen Zimmer sitzen zu dürfen, in tanzendes Licht gehüllt. Keine E-Mails, die deinen PC-Bildschirm bombardieren, keine erbosten Anrufe, die deinen Kopf überschwemmen. Keine Besprechungen, keine Tabellen.
    Ich konnte ihre Zufriedenheit förmlich riechen, Übelkeit erregend wie der Geruch eines billigen Parfüms. Nicht, dass sie jemals ein billiges Parfüm benutzen würde. Ich schmeckte den sauren Geschmack von Neid. Um ihn loszuwerden, nahm ich mir ein Konfekt.
    »Oh, gute Idee, ich werde mir auch eins nehmen«, sagte die Hypnotiseurin mit kumpelhafter Herzlichkeit, so als ob wir alte Freundinnen wären.
    Sie ist dieser Typ. Sie hat wahrscheinlich eine ganze Schar kichernder, reizender Freundinnen, die immer für sie da sind, die sich zur Begrüßung umarmen und
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