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Der purpurne Planet

Der purpurne Planet

Titel: Der purpurne Planet
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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der Ungewißheit der Zukunft zurück. Schließlich weigerte sie sich mitzufliegen, vielleicht auch deshalb, weil sie einen Sohn hatten. Sie wurden geschieden, und die Frau nahm ihren Mädchennamen wieder an. Der Sohn bin ich.“
    Irina bedeckte ihr Gesicht mit den Händen, aber Uwe sah sie gar nicht an, sondern sprach weiter, den Blick starr ins Blaue gerichtet:
    „Dir ist klar, daß ich dieses Angebot annehmen muß. Zehn Jahre hin, zehn Jahre zurück, das macht eine Anabiose von zwanzig Jahren. Ich liebe dich, und ich möchte, daß du meine Frau wirst. Aber ich habe meine Mutter vor Augen. Es gibt nur zwei Möglichkeiten – entweder wir trennen uns heute, oder wir heiraten in den nächsten Tagen, und du kommst mit.“
    Uwe sah Irina an. Irina lächelte mühsam. „Ich komme mit!“ sagte sie.

1
    Irina war aufgestanden, nachdem sie das Gedächtnis wiedergefunden hatte, und hatte ein paar Minuten lang leichte Gymnastik getrieben. Die Schmerzen, die die Anabiose hier und da zurückgelassen hatte, waren wie fortgespült; sie fühlte sich wunderbar frisch. Freilich wußte sie, daß sie schnell ermüden würde, aber sie hatte einfach keine Lust, das eben erst wiedergewonnene Leben mit Schlaf zu vertun, wie das Programm es vorsah. Es machte ihr direkt Spaß, ein bißchen gegen die Disziplin zu verstoßen. Sie legte einen leichten Dreß an, beobachtete dabei mit Vergnügen das Spiel ihrer Muskeln und Gelenke und sprach laut die lateinischen Namen der Gewebe, Knochen und Nerven aus, die daran beteiligt waren – alles war da, nichts vergessen!
    Dann verließ sie die Grabkammer, wie dieser Raum im Kosmonautenjargon hieß, kletterte in die Zentrale hinauf und setzte sich in ihren Arbeitssessel.
    Die Zentrale hatte die Gestalt eines regelmäßigen Sechsecks, obwohl nur fünf Personen an Bord waren. Jede der etwa drei Meter langen Seiten war der Arbeitsplatz eines der Besatzungsmitglieder – nur Irina hatte zwei: den medizinischen und den gastronomischen; denn als Ärztin war sie zugleich für die Ernährung verantwortlich. In der Mitte stand ein fünfeckiger Tisch, an dem alle gemeinsam ihre Mahlzeiten einnahmen – oder richtiger: einnehmen würden.
    So, nun mußte sie aber doch diszipliniert sein und schlafen gehen. In einer halben Stunde hatte sie ausgeruht zu sein, denn dann würde Uwe erwachen, wieder eine halbe Stunde später Michael Kolk, der Navigator, danach Erika Braune, die Funkerin, und schließlich Erich, deren Mann, der Planetologe. Was sie wohl für Menschen sein mochten? Michael Kolk, den jungen Bären, der ihren Uwe schon länger kannte sie als und sich fast als sein Sohn fühlte, diesen Michael Kolk kannte sie ja schon aus der Vorbereitungszeit. Aber die beiden Braunes waren erst beim Starttraining zu ihnen gestoßen, er achtundzwanzig und sie fünfundzwanzig Jahre alt, beide junge Mitarbeiter der Gruppe, die auf der Erde das PROJEKT RELAIS weiterführte, beide glücklich über den ehrenvollen Auftrag, als Auserwählte ihrer Gruppe zum Planeten RELAIS zu fliegen…
    Sie hatte schlafen gehen wollen, aber irgend etwas beunruhigte sie. Plötzlich wurde ihr bewußt, daß sie die ganze Zeit auf den Datumsanzeiger gestarrt hatte. Das Gerät, auf Erdzeit synchronisiert, zeigte an: 25.8.112.
    Irina lachte auf. Natürlich, seit dem Start im Jahre 102 Neuzeit waren ja zehn Jahre vergangen! Aber dann stutzte sie. Fünfundzwanzigster August? Sollten sie nicht am achtundzwanzigsten erwachen?
    Sie zog eine Lade auf, nahm das medizinische Bordbuch heraus und legte es vor sich auf den Arbeitstisch. Noch war es leer. Was würde alles eingetragen sein, wenn sie zurückkämen?
    Sie schlug das Buch auf. Da stand, schwarz auf dem zarten Hellgrau der Plastfolieblätter, das Datum, das sie schon vor Beginn des Fluges eingetragen hatte: Beginn 28.8.112.
    Na wenn schon! dachte sie. Drei Tage, was machte das aus in zehn Jahren. Aber gleich kamen ihr Bedenken. War es richtig, so leicht darüber hinwegzugehen? Alles andere hatte die Automatik doch zuverlässig erledigt. Drei Tage – wie groß war denn die Abweichung eigentlich? Hm – nicht ganz 0,1 Prozent von zehn Jahren. Und die Weckautomatik hatte eine Toleranz von 0,01 Prozent. Also mußte es eine Ursache geben!
    Sollte etwa bei einem der Gefährten eine Störung im Ablauf der Anabiose eingetreten sein?
    Mit schnellen Handgriffen schaltete sie ihre Geräte an Uwes Anabiosebox. Auf ihrem Arbeitstisch begannen Lämpchen zu glühen. Lichtstreifen kletterten Skalen hinauf und
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