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Der purpurne Planet

Der purpurne Planet

Titel: Der purpurne Planet
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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Mitarbeiter diesen Gesichtsausdruck nicht kannten, er trug ihn nur auf der Erde, wenn er frei war von allen Pflichten. Aber sie hatte nie herausfinden können, was sich dahinter verbarg. Unlust und schlechte Laune gewiß nicht, die waren selten bei ihm, und dann zeigte er sie anders, polternd und voll Selbstironie, aber nicht schweigsam. Vielleicht ein tiefes Nachdenken, ein Bilanzieren, das Zurückgezogenheit brauchte? Ob sie nicht versuchen sollte, das herauszufinden? Es war eigentlich an der Zeit.
    Es war überhaupt an der Zeit, einiges zu erörtern. Diese Ballonfahrt war kein beliebiger Ausflug. Schon als er sie einlud, hatte sie das sichere Gefühl, daß es ihm um mehr ginge als um ein Urlaubsvergnügen. Schön, vielleicht war dieser Eindruck auch nur das Ergebnis ihrer eigenen Wünsche und Absichten gewesen. Doch warum hatte er dann halb im Scherz gesagt, er brauche bei großen Entscheidungen einen weiten Blick?
    Wir werden darüber sprechen, beschloß sie. Und was man tun will, soll man gleich tun! Sie waren beide Anfang Vierzig, erfahrene Leute, sie hatten einander geprüft und für gut befunden, warum dann vor dem offiziellen Schritt zaudern?
    „Welche geheimen Absichten verbindet denn der kosmische Kapitän mit unserer irdischen Ballonfahrt?“ fragte sie laut.
    Uwe öffnete blinzelnd die Augen. „Großmutter, warum hast du so einen großen Mund?“ fragte er lächelnd.
    „Damit ich dich besser fressen kann!“ antwortete sie, wie es der Text des Märchens vorschreibt. „Und ich habe die feste Absicht, das zu tun!“
    „Sieh mal, wie ich vor Angst zittere“, antwortete Uwe und langte nach dem Frühstückskorb. „Hab Mitleid mit mir und begnüge dich diesmal mit diesem Hühnerbein!“ Er reichte ihr einen halben Broiler.
    „Einverstanden“, erklärte sie. „Eigentlich habe ich auch nur deshalb so einen großen Mund, damit ich solche kleinen Fragen stellen kann wie eben!“
    Sie biß kräftig in die Keule und sah ihn dabei auffordernd an.
    „Ja, weißt du“, erklärte er ruhig, mit Pausen, in denen er aß und trank, „das ist eine lange Geschichte, sie beginnt… in meiner Kindheit… und endet wer weiß wo…, und wenn ich sie… beim Essen erzählen soll…, dauert sie drei Tage…“
    Irina glaubte nun, ihrer Sache ganz sicher zu sein, und sie mußte innerlich lachen: der große Kosmonaut, der weltbekannte, in Verlegenheit, einen Heiratsantrag zu formulieren! Oder? Aber nein, was denn sonst. Unverwandt sah sie ihn an, forschend wie bisher.
    Uwe Heywaldt wußte, was sie dachte und empfand, und er gönnte ihr dieses Gefühl der Überlegenheit. Er war tatsächlich verlegen. Wie sollte er es anfangen, daß aus dieser frohen Stimmung ohne allzu schmerzlichen Übergang das ernste Nachdenken wurde, das geboten war und dem sie beide nicht ausweichen konnten?
    Er räumte die Essenreste fort und lehnte sich bequem zurück, die Arme auf die Brüstung des Korbes gelegt.
    „Geht’s jetzt los?“ fragte Irina.
    „Ja“, sagte er, „und zwar geht es los mit meiner Geburt. Ich war ein munterer Säugling und meine Mutter eine schöne Frau. Lache nicht, Mütter sind immer schöne Frauen, das ist eine Weisheit, an der auch Jahrhunderte nichts ändern werden.
    Als ich fünf Jahre alt war, verließ mein Vater meine Mutter. Man könnte auch sagen, meine Mutter verließ meinen Vater, beides ist richtig, aber als Kind begriff ich den Sachverhalt zunächst in der ersten Formulierung.

    Solange ich noch klein war, vermißten wir, glaube ich, beide nichts. Aber je größer ich wurde, um so deutlicher spürte ich, wie meine Mutter sich an mich klammerte. Als ich mein erstes Mädchen hatte, wurde sie krank, und nach ihrer Genesung lebte sie nur noch in der Vergangenheit. Ich weiß, das klingt fürchterlich romantisch, und sie tat natürlich ihre Arbeit als Biologielehrerin, aber ohne Leidenschaft, ohne den Drang nach vorn. In all den Jahren hat sie kaum einen Schüler für diese Wissenschaft begeistern können. Sie hat nicht etwa gejammert, sie hat sich nicht einmal bei mir beklagt, sie war voller Würde. Aber trotzdem weiß ich, daß sie immer nur an die wenigen glücklichen Jahre zurückgedacht hat. Und heute begreife ich, daß nicht so sehr die Trennung, sondern mehr ihr eigenes Versagen ihr den Mut und die Lust zum Leben genommen hatte. Sie starb, wie du weißt, im vergangenen Jahr – ungewöhnlich jung, nur etwas über sechzig Jahre alt. Und wenn ich heute davon so sachlich sprechen kann, dann deshalb, weil ich
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