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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber
Autoren: Petra Hammesfahr
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Lärm machte ihm Angst. Aber er behielt sie in der Faust, warf sie nicht in hohem Bogen aus dem Kinderwagen, wie Albert Kreßmann es mit jedem Ding tat, das man ihm in die Finger drückte.
    Beim Schützenfest im September trug Jakob ihn schon auf dem Arm über den Platz, stellte ihn dort, wo das Gewimmel von Menschen weniger dicht war, auf seine Füße und ließ ihn eigene Schritte tun. Trude kaufte ihm ein Windrad, mit dem er allerdings nichts anzufangen wusste.
    Und im Mai 75 – Jakobs Vater war zwar gerade erst unter der Erde, aber den Kindern wollte man die kleine Freude nicht verderben – fuhr Ben zusammen mit Bärbel auf dem Karussell. Jakob musste während der Fahrt aufspringen und ihn herunternehmen, weil er in Panik geriet und losschrie, als wolle man ihm an die Kehle.
    Was schon seit Monaten wie ein drohendes Unheil über ihren Köpfen hing, ballte sich allmählich zu einer Faust, die Trudes Herz schmerzhaft umklammerte. Ben hatte gelernt, zu sitzen, zu stehen, einige Schritte zu tun und ein paar unverständliche Laute von sich zu geben. Aber mehr kam nicht. Es geschah nur noch, worum Trude so inbrünstig gebetet hatte. Er lebte und wuchs.
     
    Jakobs Mutter sagte bis zu ihrem Tod im November 76 häufig, es sei ein Glück, dass ihr Mann es nicht mehr habe erleben müssen. Zusammen mit den alten Frauen aus der Nachbarschaft zerbrach sie sich den Kopf, wessen Schuld es sein könnte.
    Man rekonstruierte die Zeit bis zu seiner Geburt, so gut man sie im Gedächtnis hatte. Doch niemand erinnerte sich an einen großen schwarzen Hund, vor dem Trude sich erschreckt haben könnte. Es waren auch keine Zigeuner auf den Hof gekommen, die – als man sie abwies – einen Fluch zurückgelassen hätten. Und in beiden Familien gab es keine gleichgelagerten Fälle. Bei den Schlössers sowieso nicht, aber auch von Trudes Seite war nichts Negatives bekannt.
    Dass die Ursache allein in Trudes Sturz auf den vereisten Stufen zur Küche liegen könnte, zog Jakobs Mutter nicht in Betracht. In diesem Fall wäre sie die Verantwortliche gewesen. Sie hatte an dem Unglückstag versäumt, rechtzeitig Asche zu streuen.
    Bis zuletzt hoffte Bens Großmutter, dass sich noch etwas ändern würde. Einen Monat vor ihrem Tod pilgerte sie mit der katholischen Landfrauengemeinde nach Lourdes, brachte zwei Flaschen Weihwasser und eine Lungenentzündung mit heim. Mit dem Wasser beträufelte sie Bens Hinterkopf, an der Lungenentzündung starb sie.
    Für Trude war der Tod ihrer Schwiegermutter ein herber Schlag. Auf die ersten beiden Jahre voll Stolz, Mutterglück, bangen Nächten und dummen Fragen folgte für sie eine dumpfe Zeit. Sie wollte nicht wahrhaben, was sie sah, wenn sie vom Feld oder aus den Ställen kam, die Küche betrat und Ben in einer Ecke sitzen sah.
    Seiner Großmutter gehorchte er aufs Wort, wo sie ihn hinsetzte, blieb er sitzen, oft genug mit wundem Hinternund vom Weinen verquollenem Gesicht. Er schaute nicht auf, wenn Trude hereinkam, war völlig apathisch in seiner trüben Welt versunken.
    Für seine Schwestern war er nicht mehr als ein Besen, den man in eine Ecke stellte. Anita strebte nach Höherem, war mit einer Arzttochter befreundet und tat, als existiere ihr Bruder nicht. Bärbel erbarmte sich manchmal, stopfte ihm einen Bonbon in den Mund und strich ihm übers Haar, wenn keiner zuschaute. Jakob nahm ihn abends auf den Schoß, ließ ihn auf seinen Knien reiten und sagte: «Ach, das wird schon.» Aber nicht einmal er konnte Ben ein Lächeln abringen.
    Der Winter 76/​77 war für Trude besonders hart. Sie schleppte ihn auf Schritt und Tritt mit sich, sagte ihm ein paar Worte vor. Und abends besprach sie mit Jakob, wie es nun weitergehen sollte. Bis zum Frühjahr musste eine Lösung gefunden werden, alleine konnte Jakob die Feldarbeit nicht bewältigen.
    Mit dem Problem hatten auch die anderen schon zu kämpfen gehabt und eine Lösung gefunden. Paul Lässler, Toni von Burg und der alte Kleu hatten Anfang der siebziger Jahre eine Arbeitsgemeinschaft gebildet. Richard Kreßmann war darauf nicht angewiesen, er beschäftigte ein halbes Dutzend Leute.
    Nun wollte Toni von Burg aus der Arbeitsgemeinschaft aussteigen und sich auf Geflügelzucht spezialisieren. Er war dabei, einen Großteil seines Landes zu verkaufen – als Bauland. Thea Kreßmann berichtete bei jedem Besuch, dass Toni sich eine goldene Nase damit verdiente. Den Gewinn wollte er in große Mietshäuser investieren, erzählte Thea, damit ihm die Steuer nicht alles
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