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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber
Autoren: Petra Hammesfahr
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wegfraß. Nur zu gerne trat Jakob an Tonis Stelle und organisierte nun mit Hilfe seiner Freunde die Arbeit auf seinem Hof.
    Trude legte zum Ausgleich für sich einen Gemüsegartenneben der rückwärtigen Ausfahrt an. Im Frühjahr und im Sommer 77 floh sie täglich nach dem Mittagessen hinaus und setzte Ben auf einem Pfad zwischen den Beeten ab, wo er auch anfangs noch sitzen blieb. Aber nicht lange. Er mochte zu blöd sein, das Wort Mama auszusprechen, doch er begriff schnell, dass seine Mutter aus einem anderen Holz geschnitzt war als die Großmutter.
    In den ersten Tagen verwirrte ihn die Weite ringsum noch. Er blinzelte unsicher ins Sonnenlicht, staunte mit halboffenem Mund die Wolken an und zuckte erschreckt zusammen, wenn ihm eine Biene oder ein Falter zu nahe kam. Dann kroch er das erste Mal ein Stück vorwärts auf den Feldweg zu, der parallel zur Bachstraße hinter dem Garten vorbei Richtung Lohberg führte. Den Blick hielt er dabei noch misstrauisch und ängstlich auf Trude gerichtet. Schon nach einer Woche wieselte er seinem Ziel so schnell entgegen, dass Trude die Luft ausging, ehe sie ihn wieder zu packen bekam. «Nein, nein», keuchte sie jedes Mal. «Du musst bei mir bleiben.»
    Es half nicht viel, mit ihm zu reden. Er verstand es nicht. Für ihn war es ein Spiel, weglaufen und gefangen werden. Trude dachte oft, dass er wirklich nur begriff, was verboten war, wenn man ihn verprügelte, wie ihre Schwiegermutter es getan hatte. Das brachte Trude nicht übers Herz. Anbinden mochte sie ihn auch nicht, er war doch kein Tier. Aber jedes Mal, wenn sie hinter ihm her hetzte, hatte sie das Gefühl, dass ihr alles über dem Kopf zusammenschlug.
    Isoliert und ausgeschlossen, das Stigma nicht auf der Stirn, nur an der Hand. Sie konnte nicht mehr mit Illa von Burg am Sonntagmorgen die heilige Messe besuchen. Sie konnte Antonia Lässler nicht mehr am Sonntagnachmittag nach Lohberg begleiten und sich eine Stunde inder Eisdiele gönnen, während die Männer auf dem Fußballplatz waren. Sie konnte niemanden mehr einladen auf einen Kaffee am Nachmittag. Sie konnte auch die Einladungen anderer nicht mehr annehmen, schon gar nicht, wenn es sich um größere Ereignisse handelte.
    An der Hochzeit von Erich Jensen und Maria Lässler hatte sie noch teilgenommen. Aber das war 1974 gewesen. Da hatte ihre Schwiegermutter noch gelebt und war mit Ben daheim geblieben. Als Bruno Kleu das dritte Mädchen aus Lohberg schwängerte und Renate auf Befehl seines Vaters im September 77 heiraten musste, schob Trude eine Migräne vor. Jakob ging mit den beiden Töchtern hin.
    Als Anfang Oktober Bruno und Renate Kleus Sohn auf den Namen Dieter getauft wurde, hatte Trude so starke Rückenschmerzen, dass sie unmöglich in der Kirche stehen und auch nicht an einem Kaffeetisch sitzen konnte. Und als drei Wochen später Toni und Illa von Burgs kleine Tochter auf dem Schulweg überfahren wurde, bekam Trude zur Beerdigung eine Magenverstimmung.
    Nur konnte sie niemanden wegschicken, der unaufgefordert kam. Antonia Lässler ließ sich das nicht nehmen. Durch die enge Freundschaft ihres Mannes zu Jakob hatte sie schon vor Bens Geburt regen Kontakt mit Trude gehabt. Der Lässler-Hof lag ebenfalls an der Bachstraße, die damals nur auf einer Länge von etwa dreihundert Metern bebaut war. Pauls Anwesen lag am Anfang, Jakobs Hof praktisch am Ende, da waren sie fast Nachbarn. Und trotz des Altersunterschieds von fünfzehn Jahren hatten sie sich immer sehr gut verstanden.
    Antonia wollte nicht einsehen, warum es damit vorbei sein sollte, nur weil Trude jetzt einen Sohn hatte, der unerwartet am Tischtuch riss, eine Kaffeetasse umstieß oder mit einem Autoschlüssel im Hühnerstall verschwand,wenn man nicht aufpasste. Antonia war sogar der Ansicht, man könnte ihn einmal mit in die Eisdiele nehmen. Ihr Vater würde sich bestimmt nicht aufregen, wenn Ben ein bisschen herumsprang, weil er nicht stillsitzen konnte. Aber das hätte Trude nie gewagt.
    Illa von Burg konnte Trude verstehen und sah ein, dass Trude ihn nicht mit in die Kirche nehmen wollte. Aber die halbe Stunde nach der Messe verbrachte Illa jeden zweiten Sonntag in Trudes Küche, weil sie ohnehin in der Nachbarschaft zu tun hatte. Nicht einmal nach dem Tod ihrer Tochter stellte sie diese Besuche ein, wollte wenigstens guten Tag sagen, auch wenn Ben dabei seine schmierigen Finger an ihrem schwarzen Rock abwischte.
    Sogar die junge Renate Kleu erschien hin und wieder mit dem Kinderwagen. Bei ihrer
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