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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber
Autoren: Petra Hammesfahr
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drei Küken und bockte den Rest des Tages.
    Albert Kreßmann wurde trotz seiner Faxen Anfang 79 für reif befunden, ab Herbst die Grundschule zu besuchen. Bei Ben schüttelte man nur den Kopf. Es reichte nicht einmal für die Sonderschule. Der Professor, den Trude im März 79 auf mehrfachen Rat Thea Kreßmanns doch noch konsultierte, sprach aus, was Trude bis dahin nicht zu denken gewagt hatte: hochgradiger Schwachsinn!
    Ben saß noch nackt auf dem Untersuchungstisch, einen blinkenden Stab in der Faust, ein Stück Schokolade im Mund, weil man ihn nur mit Süßigkeiten veranlassen konnte, für ein paar Minuten stillzusitzen, als der Professor erklärte: «Sein Nachahmungstrieb bietet natürlich einige Möglichkeiten. Aber rechnen Sie nicht damit, dass er mit Ausdauer bei einer Sache bleibt. Er ist sehr aktiv und leicht abzulenken. Und er ist sehr groß und kräftig für sein Alter. Auf Dauer sind Sie mit seiner Betreuung überfordert. Das Beste wird sein, wenn Sie so schnell wie möglich ein gutes Heim für ihn suchen.»
    Trude schaute ihn an, diesen Sohn, den sie sich mehr gewünscht hatte als sonst etwas auf der Welt. Und er schaute sie an, wälzte die Schokolade im Mund. Brauner Speichel rann ihm übers Kinn. Trude wischte ihn ab. Er grinste schief, hob die Faust mit dem Stab, als wolle er sich mit dieser Geste für das saubere Kinn bedanken.
    Das war der Augenblick, in dem Trude begann, ihn zu lieben, wirklich, wahrhaftig und inbrünstig zu lieben. Es war der Moment, in dem sie sich schwor, ihn gegen alle Anfeindungen und jede Willkür zu verteidigen und für ihn zu kämpfen, allen gerümpften Nasen, allen pikierten Gesichtern zum Trotz.

16.   AUGUST 1995
    Genaugenommen war Trude die Einzige, die den Schrecken dieses Sommers in seinem gesamten Ausmaß erlebte. Für sie hatte es schon im Juli begonnen. Da legte Ben an einem Montagmorgen eine kleine, mit den Abdrücken blutiger Finger beschmierte Handtasche auf den Küchentisch.
    Über das Blut machte Trude sich keine Gedanken. Ben hatte ein paar tiefe Kratzer auf dem linken Handrücken und zwei aufgerissene Fingerkuppen. In der Tasche befanden sich eine Geldbörse mit ein paar Münzen, zwei in ein Papiertuch eingewickelte Pillen, Kamm, Spiegel, Lippenstift und ein Personalausweis, ausgestellt auf den Namen Svenja Krahl mit einer Adresse in Lohberg. Alles war sauber. Trude nahm an, er hätte die Tasche irgendwo draußen gefunden und eine Weile mit sich herumgetragen.
    Er brachte oft etwas mit von seinen Streifzügen. Einen verbeulten Aluminiumtopf, den Trinkbecher einer Thermoskanne, den irgendwer draußen verloren hatte. Einmal kam er mit einem ausrangierten Autoreifen heim und wollte Jakob eine Freude damit machen. Aber meist waren es Kleinigkeiten, die er Trude auf den Küchentisch legte, hübsch geformte oder gemaserte Steine, Scherben und die Überreste von Feldmäusen.
    Vor zwei Jahren hatte er Trude einen Schrecken eingejagt mit einem alten Knochen, der unmöglich von einer Feldmaus stammen konnte, eher von einem Schwein. Nur verscharrte niemand ein Schwein im freien Feld. Dafür gab es Schlachthöfe. Der Knochen konnte ebenso gut zu einem Menschen gehört haben, der vor Jahr und Tag am falschen Platz unter die Erde geraten war. So genau hatte Trude ihn nicht angeschaut, dass sie ihn mit Bestimmtheithätte zuordnen können. Darüber hinaus hatte sie bis zu dem Moment, als Ben ihr das verwitterte Ding auf den Küchentisch legte, noch nie einen menschlichen Oberschenkelknochen aus der Nähe gesehen.
    Im vergangenen Jahr hatte er mal einen dreckigen Lappen bei sich gehabt, der sich bei näherer Betrachtung als Unterhöschen entpuppte und im Mittelteil außer dem Dreck ein paar Blutspuren aufwies. Aber Derartiges fand sich schnell in einer Gegend, in der sich in lauen Nächten die Liebespaare im Dutzend tummelten. Da mochte auch mal eine Jungfrau mit von der Partie sein, die sich anschließend nicht traute, ihrer Mutter einen Beweis heimzubringen, und ihr Höschen lieber an Ort und Stelle zurückließ.
    Und warum sollte nicht ein junges Mädchen, das anderes im Sinn hatte, als seine Sachen beisammenzuhalten, seine Tasche verlieren? Und Ben hatte sie dann eben gefunden. So sah Trude die Sache zu Anfang. Sie lobte ihn, wischte das Blut ab und suchte im Telefonbuch. Aber unter dem Namen Krahl gab es keinen Eintrag. Also legte Trude die Tasche an die Seite, um sie beim nächsten Besuch in der Stadt bei der angegebenen Adresse abzugeben.
    Aber am Dienstagabend
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