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Der Puppengräber

Der Puppengräber

Titel: Der Puppengräber
Autoren: Petra Hammesfahr
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ab!», schrie Marlene. «Hau bloß ab, du Idiot!»
    Als er erneut die Hand nach ihr ausstreckte, schlug sie mit der Faust nach ihm. Er begann auf der Stelle zu tänzeln, griff dabei in seine Hosentasche. Als er die Hand wieder zum Vorschein brachte, hielt er ein Springmesser darin. Marlene erkannte es in der Dunkelheit erst, als er die Klinge herausschnappen ließ und ihr damit vor den Augen herumfuchtelte. Seine ohnehin dürftige Sprache verkam zu unverständlichen Gurgellauten, nur zwei Worte waren noch deutlich. «Rabenaas, kalt.»

DIE ERSTEN JAHRE
    Als er geboren wurde, an einem frostigen Tag im Februar 73, gab ihm niemand im Ort eine Chance. Wochenlang brannten vor dem Maria-Hilf-Altar in der Kirche die Kerzen. Das Unglück hatte sich schnell herumgesprochen. Trude war erst im sechsten Monat gewesen und so unglücklich auf den Stufen zur Küche gestürzt, dass sie mit Blaulicht und Martinshorn ins Krankenhaus nach Lohberg gefahren werden musste. Noch im Rettungswagen zogen sie ihn ans Tageslicht, dann brachten sie ihn auf dem schnellsten Weg in eine große Klinik nach Köln.
    Ein Menschlein von knapp drei Pfund. Jeder, der seine Eltern kannte, bangte mit ihnen. Jakob und Trude Schlösser waren ehrliche, aufrichtige und tüchtige Menschen, denen man von ganzem Herzen gönnte, dass die Ärzte ihren Sohn durchbrachten, wo sie so lange darum gekämpft hatten, ihn zu bekommen.
    Jakob war Jahrgang 32, Trude vier Jahre jünger. Geheiratet hatten sie 1957 und fest damit gerechnet, bald Elternzu werden. Aber Trude wurde nicht so leicht schwanger. Erst fünf Jahre nach ihrer Hochzeit kam Anita zur Welt, zwei Jahre später die zweite Tochter Bärbel. Dann tat sich nichts mehr.
    Jakob war stolz auf Anita. Seine Älteste war ein überaus kluges Kind, das unentwegt Fragen stellte, auf die niemand eine Antwort wusste. Er empfand Zärtlichkeit für Bärbel. Sie war ein wenig phlegmatisch und längst nicht so aufgeweckt wie ihre Schwester. Jakob wollte sich darauf nicht verlassen, dass ihm die Mädchen eines Tages die richtigen Schwiegersöhne brachten – bei dreihundert Morgen Land sollte man einen Sohn haben.
    Es gab Ende der sechziger Jahre noch dreizehn landwirtschaftliche Betriebe am Ort. Acht kleine, die kaum ihren Mann ernährten, und die fünf großen Höfe, die den Familien Schlösser, Lässler, Kreßmann, Kleu und von Burg gehörten. Mit Abstand der größte war der Besitz von Richard Kreßmann. Fünfzehnhundert Morgen, das war beinahe die Hälfte der näheren Umgebung.
    Richard Kreßmann war 1968 noch ledig, obwohl er die dreißig schon überschritten hatte. Aber Sorgen um die Erbfolge machte er sich nicht. Er war überzeugt, mit seinem Geld könne er sich Zeit lassen. Häufig erschien er mit jungen Frauen in Ruhpolds Schenke, der einzigen Kneipe im Ort. Die Gesichter wechselten oft. Wer einigermaßen bei Verstand war, ließ sich höchstens zweimal auf ein Rendezvous mit Richard ein. Er trank zu viel.
    Paul Lässler besaß dreihundertzwanzig Morgen. Er war ein Jahr älter als Jakob und seit Kindesbeinen eng mit ihm befreundet. Auch er war Ende der sechziger Jahre noch nicht verheiratet, hoffte jedoch darauf, das bald zu ändern. Er war seit zehn Jahren verlobt mit Heidemarie von Burg.
    Heidemaries Bruder Toni von Burg und seine FrauIlla bewirtschafteten vierhundert Morgen. Ihre Zukunft war schon gesichert: Uwe, ein kleiner Wildfang, der Illa gehörig auf Trab hielt und es ihr kaum erlaubte, gesellschaftliche Kontakte zu pflegen. Aber vielleicht war der lebhafte Junge nur eine Ausrede, Toni und Illa von Burg hatten immer sehr zurückgezogen gelebt.
    Der Familie Kleu gehörten knapp dreihundertfünfzig Morgen. Über den alten Kleu und seine Frau gab es nicht viel zu sagen. Ihr Sohn Bruno war noch zu jung, um ans Heiraten zu denken, aber seine Wahl hatte er schon getroffen. Er war hinter Maria Lässler her wie der Teufel hinter der armen Seele, was ihr Bruder Paul gar nicht gerne sah. Bruno Kleu war bekannt für seine Prügeleien und bewies schon mit achtzehn Jahren, dass er imstande war, Söhne zu zeugen, er schwängerte ein Mädchen aus Lohberg. Zum Leidwesen seines Vaters, der für die Alimente aufkommen musste.
    Für Jakob und Trude gab es von Monat zu Monat Hoffnung und Enttäuschung – sechs lange Jahre. Überall tat sich etwas. Im Frühjahr 69 löste Paul Lässler seine Verlobung mit Heidemarie von Burg, heiratete noch im gleichen Monat die achtzehnjährige Antonia Severino und hielt drei Monate später den
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