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Der Puls von Jandur

Der Puls von Jandur

Titel: Der Puls von Jandur
Autoren: Mara Lang
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so.
    Die Schüler begaben sich auf ihre Plätze, Ehrenfels stellte seine Tasche auf dem Lehrerpult ab. Er war groß und dürr und hatte eine Art Vogelgesicht: spitze, lange Nase, hohe Stirn, schmale Lippen. Und einen scharfen Blick, dem nichts entging. Keiner konnte ihn leiden. Er schaffte es mit wenigen Worten, einen Schüler zu erniedrigen. Jede Stunde hatte er jemand anderes auf dem Kieker. Heute war ganz offensichtlich Matteo dran.
    »Danelli?« Ehrenfels kniff die Augen zusammen. »Wo ist er?«
    Matteo hob die Hand. Ist er blind?
    Alle wandten die Köpfe.
    »Ist krank«, erklärte Jonas.
    Hä? »Was redest du da für einen Quatsch«, murrte Matteo. Er mochte Jonas. Er war klug, sah gut aus und hatte immer einen witzigen Spruch auf Lager. Das hier war nicht sein Stil.
    »Umso besser«, sagte Jenny aus der zweiten Reihe und wackelte affektiert mit dem Kopf. »Der wird uns nicht fehlen.«
    Die Mädchenmeute gluckste vergnügt.
    Matteo runzelte die Stirn. Gerade Jenny, die ihn ständig mit teetassengroßen Augen anhimmelte.
    »Du spinnst wohl, du Tussi!«, bellte er nach vorn, doch es ging in Azras Gekeife unter.
    »Ja, der Italogockel kann uns gestohlen bleiben«, kicherte sie.
    Matteo glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Was bildeten sich diese Weiber ein?
    »Türkenbraut!«, rief er. »Du hast sie wohl nicht alle!«
    »Ihr werdet doch nicht auf unseren süßen Matteo losgehen?«, sagte Albin grinsend und trat damit eine ganze Lawine wütender Antworten los. Alle schrien durcheinander.
    »Oh Mann, den Lackaffen nennst du süß?«
    »Wie der sich gut vorkommt!«
    »So ein Obermacho!«
    »Er ist ein fieses Drecksschwein, sonst nichts!«
    »Na hör mal, so schlimm ist er auch nicht.«
    »Ach ja? Und wer macht Kiril täglich fertig? Und Lorenz? Die haben keine ruhige Minute, wenn er da ist.«
    »Sag ich doch: ein Drecksschwein.«
    »Der Arsch hält sich für was ganz Besonderes.«
    »Genau! Bloß, weil er in einem Loft wohnt und seine Eltern stinkreich sind. Aber wisst ihr was, ich habe seinen Vater mal sternhagelvoll nach Hause kommen sehen, ist noch gar nicht so lange her. Ich sage euch, da ist die Kacke am Dampfen.«
    »Ruhe! Das reicht!«, rief Ehrenfels, doch es verhallte ungehört. So manche Anschuldigung fiel noch. Und so manches Schimpfwort.
    Matteo war aufgestanden. Das Blut war ihm in den Kopf geschossen und irgendwie drückte sein Magen. Wie konnten sie es wagen! Derart über ihn zu reden! Dass sie ihn nicht besonders leiden konnten, wusste er sehr wohl, und im Grunde war es ihm auch herzlich egal, was sie von ihm hielten. Was ihn wirklich ankotzte war, dass sie ihn dabei wie Luft behandelten.
    »Los!«, schrie er. »Los, sagt mir das noch einmal ins Gesicht! Na kommt schon! Oder traut ihr euch ni…?«
    »Ruhe, oder es gibt eine Klassenverwarnung!«, donnerte Ehrenfels.
    Matteo klappte den Mund zu, auch die anderen verstummten schlagartig. Eine Klassenverwarnung war übel. Gestrichene Schulausflüge, Hof- und Gangverbot, Sportplatzverbot. Das wollte keiner riskieren.
    »Dass ihr euch nicht schämt, über einen Schüler, der nicht anwesend ist, so herzuziehen!«, fuhr Ehrenfels fort. »Danelli mag ein Ekel sein – schön. Dann habt den Mumm und sagt ihm, was ihr von ihm haltet. Persönlich, nicht hinter seinem Rücken. Ich wette, das bringt mehr. Und jetzt Schluss. Hefte und Bücher raus, Seite dreiundfünfzig.«
    Die Klasse kam der Aufforderung nach, nur Matteo rührte sich nicht. Eine Ahnung krabbelte heiß durch seine Adern, fuhr ihm bis ins Hirn, doch er konnte nichts damit anfangen. Was hatte das zu bedeuten? Was meinte Ehrenfels mit »der nicht anwesend ist«? Über das Wort Ekel wollte er gar nicht erst nachdenken.
    Langsam trat Matteo hinter seinem Tisch hervor und stakste nach vorn zur Tafel. Nicht einer sah sich nach ihm um, alle beugten die Köpfe über die Hefte. Ehrenfels hatte sein Buch aufgeschlagen und langte eben nach der Kreide. Matteo blieb dicht vor ihm stehen.
    »Was soll das heißen?«, fragte er heiser. »Ich bin hier.«
    Ehrenfels ignorierte ihn. »Albin, Beispiel eins, vorlesen, aber dalli.«
    Albin raufte sich die Haare und stöhnte. Er war eine Niete in Mathematik. Genau deshalb hatte Ehrenfels ihn gerufen.
    »Wird’s bald?«
    »Ich bin hier!«, rief Matteo so laut, dass es alle von den Stühlen reißen musste. Irrtum. Die Klasse machte nicht einen Mucks, Ehrenfels hielt den Blick weiterhin auf Albin geheftet. Der hatte zu lesen begonnen, stotternd wie gewohnt.
    Matteo keuchte
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