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Der Puls von Jandur

Der Puls von Jandur

Titel: Der Puls von Jandur
Autoren: Mara Lang
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die Wohnung für sich. Und den Rest der Woche im zukünftigen Domizil seines Vaters. Dann, wenn Brizio auf Achse wäre. Das kam Matteo ganz vernünftig vor.
    Eine Weile kramte er in den Untiefen seiner Jackentaschen nach dem Wohnungsschlüssel. Die Docs zu schnüren kostete ebenfalls eine Menge Zeit, und schließlich war es kurz vor acht, als die Tür hinter Matteo ins Schloss fiel.
    Erst auf der Straße fiel ihm siedend heiß ein, dass er seine Tasche vergessen hatte. Sie lag in seinem Zimmer unter dem Schreibtisch. Und da würde sie auch bleiben, für eine Umkehr war es zu spät. Egal, heute würde er eben ohne Bücher auskommen müssen.
    Von der Wohnung zur Schule brauchte er zehn Minuten. Fünf, wenn er sich beeilte. Als sie damals von Eisenstadt nach Wien gezogen waren, weil Andrea ein neuer Job angeboten wurde, hatten die Eltern das alles bedacht und eine zentral gelegene Wohnung ausgewählt. Schulen, Einkaufszentrum und Kanzlei gab es in nächster Nähe, und Matteo und Andrea konnten so gut wie alle Wege zu Fuß erledigen. Nur Brizio musste zur Arbeit mit der U-Bahn in die City fahren. Sie besaßen zwar ein Auto, doch das stand die meiste Zeit in der Garage. In den letzten Jahren hatten sich Familienausflüge oder Fahrten in ihr Blockhaus in den niederösterreichischen Voralpen auf null reduziert. Was Matteo ganz gelegen kam, denn er hatte sowieso keine Lust, seine Freizeit mit seinen Eltern zu verbringen. Vor allem, seit sie sich ständig ankeiften.
    Zügig ging er los. Laufen kam nicht in Frage, er hatte ein Image zu wahren. Große, eilige Schritte fielen nicht weiter auf, sollte ihn jemand sehen.
    Vor dem Schultor überholte ihn Kiril aus seiner Klasse. Mit offenen Schuhbändern, wehender Jacke und Strubbelfrisur. Wie üblich. Man musste sich fragen, ob er überhaupt wusste, wie man das Wort »Kamm« buchstabierte.
    Kiril sah nicht einmal zur Seite, als er vorbeirannte, geschweige denn, dass er grüßte. Matteo grinste, das war typisch Kiril. Er lebte in seiner eigenen Welt. Sein Schachklub und sein Computer waren alles, was ihn interessierte.
    Aus reiner Gewohnheit pfiff Matteo ihm hinterher. »Na, du Spinner! Wieder mal schachmatt gesetzt worden?«
    Kiril gab keine Antwort, aber auch damit hatte Matteo gerechnet. Immerhin überhäufte er ihn täglich mit solchen Nettigkeiten. Ein hübsches Spiel, er liebte es.
    In angemessenem Abstand stieg er hinter Kiril die Treppe hoch. Das käme gar nicht gut, wenn er gleichzeitig mit dem Loser die Klasse beträte. Man könnte noch denken, sie wären zusammen zur Schule gekommen.
    Es war kühl im Treppenhaus. Das Gebäude des Gymnasiums war in den Fünfzigerjahren erbaut und seither nur einmal renoviert worden. Durch die Fensterritzen brauste im Herbst der Sturmwind, aus dem Gemäuer atmete die Vergangenheit. Zusammen mit dem Geruch von Putzmittel, Mandarinen und Pausenbrot machte das die markante Schulduftmischung, die wohl jeder Schüler auf ewig im Gedächtnis behält.
    Auf den Gängen war es bereits still geworden, Matteo warf einen Blick auf die Schuluhr: drei nach acht. Nicht schlecht. Mit ein bisschen Glück konnte er es noch vor Ehrenfels in die Klasse schaffen.
    Prompt lief Kiril dem Lehrer vor der Klassentür direkt in die Arme. Der ließ auch sofort ein Donnerwetter auf ihn niederhageln.
    Blöd gelaufen , dachte Matteo und schlich an den beiden vorbei.
    Im Klassenzimmer herrschte gelangweilte Montagmorgenstimmung.
    Die Mädchen hatten sich an den Fenstern in zwei Gruppen zusammengerottet, quatschten und kicherten. Drei Jungen standen am Waschbecken und befüllten Wasserbomben. Für Frau Lenhardt, wie anzunehmen war. Sie war stets Opfer ihrer Scherze. Aus solchen Dummheiten hielt sich Matteo meistens raus. Zu kindisch.
    Ein paar andere Mitschüler lümmelten auf ihren Plätzen, hörten iPod, simsten oder spielten Games am Handy. Der Rest der Bande umringte Jonas, der, großzügig wie immer, die Mathematikhausaufgabe weiterreichte.
    Matteo schlenderte nach hinten in die letzte Reihe, nickte Albin zu, der mit glasigen Augen durch ihn hindurchstarrte – hatte er wieder gekifft? –, und sank auf seinen Stuhl. Geschafft. Das war noch mal gut gegangen.
    Ehrenfels betrat hinter Kiril die Klasse und schloss die Tür mit einem wohldosierten Krachen. Die Fenster klapperten. Viel Aufsehen erregte er damit nicht, ein solcher Auftritt war sein Markenzeichen. Dabei hatte er es nicht nötig, sich auf diese Weise Gehör zu verschaffen – die Klasse respektierte ihn auch
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