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Der Puls von Jandur

Der Puls von Jandur

Titel: Der Puls von Jandur
Autoren: Mara Lang
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getraut sie zu stellen. Aus Furcht vor der Antwort.
    Sie wog den iPod in ihrer Hand. Zwinkerte ihm zu. »Nichts ist für immer.«
    Matteo nickte. An diesen Gedanken würde er sich klammern.
    Er beobachtete, wie sie den iPod gegen den Lederbeutel tauschte. Wie sich ihre Fascia entfalteten, beide jetzt. Wie sie mit den Fingern eine ordentliche Prise des magischen Pulvers herausnahm.
    Wie auf Kommando begann sein Herz wie verrückt zu trommeln. Seine Kehle verengte sich. Die Angst schnürte sich mit schmerzhaften Fesseln um seinen Brustkorb.
    »Leg dich hin«, befahl Lith und er sank zurück. Hörte sich keuchen.
    Dann ging alles ganz schnell.
    Das glitzernd blaue Pulver zerstob über seinem Kopf, rieselte sanft auf ihn herab. Liths kühle Finger strichen über seinen Soplex, während seine Wirklichkeit wegkippte. Seine Sicht verschwamm, die Welt ringsum löste sich in Schatten auf, immer noch blaue, durchzogen von lichtem Gold.
    Etwas knisterte, berührte ihn kurz darauf tief in seinem Inneren. Er wartete auf den Schmerz, doch er kam nicht.
    Im nächsten Moment entglitt ihm sein Denken.
    Er kämpfte dagegen an. Brauchte es doch! Wie sonst sollte er sich mit seinem Körper vereinigen? Den Weg zurück nach Hause finden?
    Die Fragen versandeten in Bedeutungslosigkeit. Eine tiefe Ruhe erfasste ihn. Sein Kopf war mit Watte gefüllt.
    Und er schwebte.
    Duftig weiche Wolken umgaben ihn. Er spürte seine Arme und Beine nicht mehr, geriet in Panik. Irgendwo in seinem halb betäubten Bewusstsein fand er die Erklärung dafür: Er war bereits Puls.
    Beruhigend.
    Ein Sog erfasste ihn, zog und rüttelte an ihm. Das musste die Weltenspirale sein.
    Mit plötzlicher Erleichterung ließ er sich fallen.
    Dein Körper! , schoss es ihm in den Sinn. Der Gedanke erfüllte ihn, verband sich mit einem zweiten. Nach Hause.
    Mein Körper – nach Hause.
    Mein Körper – nach Hause.
    Mein Körper.
    Nach Hause.
    Mein …
    In seinen Ohren rauschte es.
    Unangenehm.
    Kaum erträglich.
    Endlich war es vorbei.
    Ein Moment der Stille.
    Dann …
    Der Aufprall war hart. Matteo landete bäuchlings vor dem Klavier.
    Aua! Mann!
    Stöhnend richtete er sich auf. Seine Umrisse waren auf den Holzboden gezeichnet. Eine blaue Linie, als hätte hier eine Leiche gelegen.
    Das war verwirrend.
    Mühsam kam er auf die Knie und blickte sich um. Der Klavierhocker war umgestoßen und Brizio stand daneben. Käsebleich und schwer atmend.
    »Wer … was?«, stammelte er.
    »Brizio«, sagte Matteo, und dann: »Papa.« So hatte er ihn noch nie genannt. Ein erlöstes Lachen entwich ihm.
    Er war zu Hause.
    » Papa? « , wiederholte Brizio fassungslos. Und nach einem Schnaufen: »Woher … kommst du?«
    Mit dieser Frage hatte Matteo nicht gerechnet. Oder nicht so bald. »Na ja, das ist schwierig zu erklären …«
    Eine Gestalt erschien in der Wohnzimmertür. Dunkelblondes Haar, ein vertrautes Gesicht mit fein geschnittenen Zügen.
    »Oh mein Gott«, stieß Andrea nach Sekunden des Schocks hervor.
    Oh mein Gott, dachte auch Matteo. Die Bilder in seinem Kopf überlagerten sich. Wie hatte er das nur übersehen können! Diese verblüffende Ähnlichkeit. Hatte er sie ignoriert? Nicht wahrhaben wollen? Einfach vergessen?
    Andrea glich Dylora!
    Nur in gewisser Weise – der Schwung ihrer Lippen, ihr Teint, die kleinen Locken –, aber dennoch unverkennbar.
    »Brizio?«, fragte Andrea mit zitternder Stimme. »Wo kommt dieser Junge her?«
    Matteo runzelte die Stirn.
    »Das fragst du mich?«, kam es keuchend zurück. »Er ist einfach aus der Luft gefallen.« Er wandte sich Matteo zu. »Wer bist du überhaupt?«
    Kälte erfasste Matteo. Er sprang auf. »Was? Erkennt ihr mich denn nicht? Ich bin’s, Matteo.«
    Brizio starrte ihn mit schmalen Augen an, Andrea schüttelte in einem fort den Kopf.
    »Du siehst nicht aus wie Matteo«, sagte Brizio. »Nicht wirklich. Und außerdem …«, er stockte hörbar, »ist unser Sohn seit zwei Wochen tot.«
    »Tot?«, krächzte Matteo.
    »Er ist gestorben. An den Folgen einer Virusinfektion. Das Begräbnis war erst vor einer Woche …« Die Stimme brach ihm weg.
    Mit fahrigen Fingern zerrte Matteo an seinem Hemd. Jenes Hemd, wie er mit Entsetzen feststellte, das er zuvor von Yassin bekommen hatte. »Nein, bitte nicht«, murmelte er, »mach, dass das nicht wahr ist.« Er lugte unter den Kragen, sah schon, was er dort niemals wieder hätte sehen wollen, verschaffte sich Gewissheit, indem er über seine Haut tastete.
    Er hatte einen Soplex.
    In Matteo stieg
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