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Der Puls von Jandur

Der Puls von Jandur

Titel: Der Puls von Jandur
Autoren: Mara Lang
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auf. Anscheinend hatten sich alle gegen ihn verschworen, Ehrenfels eingeschlossen. Wollten sie ihm eine Lektion erteilen? Gut, er war nicht immer fair zu seinen Mitschülern, das war schon richtig. Zu Kiril und Lorenz. Und manchmal auch zu Azra oder Ella. Und zu Bernd. Die waren eben alle zu dämlich. Die forderten ihn ja geradezu heraus. Aber was sollte denn dieser Schwachsinn? So zu tun, als wäre er gar nicht da?
    Matteo drehte sich zur Klasse um und holte tief Luft. »Also: Hier bin ich. Wer hat den Mut und sagt mir das noch einmal? Los doch! Ich warte.«
    Niemand reagierte. Nicht ein Kopf hob sich, keiner rief ihm etwas zu, keiner murmelte in sich hinein.
    »Feiglinge!«, zischte Matteo. »Ein Haufen Feiglinge seid ihr, weiter nichts.«
    »Also?« Ehrenfels musterte Albin sichtlich gelangweilt. »Wie werden wir das nun berechnen? Irgendwelche Ideen in deinem zugedröhnten Schädel?«
    »Also … äh … das ist eine Gleichung mit einer Variablen«, plapperte Albin nach, was Jonas ihm zuflüsterte.
    Ehrenfels wandte sich zur Tafel. »Sag sie mir mal an, das wirst du ja wohl schaffen.«
    Matteo stellte sich ihm in den Weg. »Und Sie? Was haben Sie mit der ganzen Sache zu tun? Was läuft hier?«
    Ehrenfels schüttelte belustigt den Kopf, hob den Arm und – griff durch Matteo hindurch. Mitten durch seinen Brustkorb. Es knisterte und rauschte, als hätte jemand eine alte Schallplatte aufgelegt. Mehr nicht.
    Schockiert blickte Matteo an sich hinunter. Die Hand seines Lehrers steckte in seiner Brust! Da war ein Loch! Die gezackten Ränder flimmerten weiß, kleine Blitze zuckten um den Fremdkörper. Es tat nicht weh, da war nur ein dumpfer Druck in seinem Oberkörper. Ehrenfels hielt inne. Für eine Sekunde nur, dann zog er seine Hand zurück. Matteo entwich ein Ächzen.
    »Ich warte, Albin«, seufzte Ehrenfels. »Lies einfach ab, was im Buch steht, das kann ja nicht so schwer sein.«
    Matteo taumelte zur Seite. Sein Blick sprang hin und her. Auf Ehrenfels. Auf Albin. Und wieder auf seine Brust. Die sah aus wie immer, nicht der kleinste Riss in seinem T-Shirt. Ungläubig betastete er die Stelle, an der eben noch das Loch gewesen war, und bemerkte, dass seine Finger zitterten. Was ging da vor sich?
    Er musste träumen. Ja, natürlich, ein Traum! Er lag in seinem Bett und träumte diesen Irrsinn bloß. Gleich, gleich würde der Wecker läuten und ihn erlösen.
    Aber nichts läutete und er wachte nicht auf. Stattdessen stand er fassungslos vor der Tafel und beobachtete den Ablauf der Mathematikstunde. Niemand beachtete ihn. Ihm war, als gehörte er zum Inventar der Klasse. Wie der Wienplan an der Wand oder Bones , das Skelett, das in der Ecke vom Haken baumelte.
    Ehrenfels schrieb die Rechnung an, riss einen Scherz nach dem anderen auf Albins Kosten und rief am Ende Jenny zur Tafel. Sie bemühte sich redlich die Gleichung zu lösen und brachte sogar ein richtiges Ergebnis zu Stande. Danach sollte die Klasse drei Beispiele allein im Heft rechnen. Ehrenfels setzte sich an seinen Tisch, die Schüler konzentrierten sich auf die Arbeit.
    Es wurde so ruhig, dass Matteo seine Atemzüge hören konnte. Seine Atemzüge. Sie waren da, er war da. Das war er doch?
    Er strich sich über die Arme, den Kopf, das Gesicht. Fuhr sich durchs Haar. Kratzte sich am Unterarm, so fest, dass Blutstropfen austraten. Leckte sie ab. Ja, Blut. Es schmeckte danach, es war Blut. Sein Blut. Alles war wie immer. Wieso konnte ihn dann niemand sehen? Oder hören? Und wie war es nur möglich, dass Ehrenfels ihn mit der Hand durchbohrt hatte?
    Lange stand er vor der Tafel. Sein Kopf ratterte in einer Tour und trotzdem kam kein vernünftiger Gedanke dabei heraus. Irgendwann wankte er auf seinen Platz zurück und setzte sich.
    Der Tag leierte an Matteo vorüber wie ein alter Film. Er saß mitten im Geschehen und war dennoch nicht vorhanden. Ein Niemand, ein Nichts. Niemals zuvor hatte er sich so klein gefühlt.
    Nach der vierten Stunde stand Sport auf dem Stundenplan. Als seine Klassenkameraden sich anschickten den Raum zu verlassen, schnellte Matteo hoch und rannte zur Tür. Er stellte sich mit gespreizten Armen und Beinen in den Türrahmen. Jetzt mussten sie an ihm vorbei. Er würde keinen durchlassen. Keinen.
    Jonas trat auf ihn zu und grinste. Matteos Herz machte einen Satz. Also doch! Er hatte sich das alles bloß eingebildet.
    »Jonas …«, setzte er an, doch der hob nur die Hand und winkte.
    »Fabian!«, rief er nach draußen auf den Gang. »Hey,
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