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Der Puls von Jandur

Der Puls von Jandur

Titel: Der Puls von Jandur
Autoren: Mara Lang
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so.
    In seinem Magen rumorte der Hunger. Stimmt ja, er hatte heute noch nichts gegessen!
    Die Küche war vorbildlich aufgeräumt. Seit Jahren schon bezahlte Andrea eine Putzfrau, anders war die Hausarbeit für sie nicht zu schaffen. Außerdem zählten Staubsaugen und Bügeln nicht zu ihren Lieblingsaufgaben.
    Matteo scheiterte daran, die Kühlschranktür zu öffnen. Er schloss die Finger um den Griff, zog an und starrte verblüfft auf seine leere Faust. Er probierte es mit der anderen Hand, dann mit beiden. Nichts. Der Griff glitt einfach durch ihn hindurch. Auch das Messer musste bleiben, wo es war, die Schublade bewegte sich keinen Zentimeter.
    Jeder Versuch kostete ihn enorme Kraft, ein paarmal musste er unterbrechen, weil sich der Raum um ihn drehte. Was war nur los mit ihm?
    Dass ihn niemand sehen oder hören konnte, vergrub er ganz bewusst im hintersten Winkel seines Denkens. Dafür fand er einfach keine Erklärung. Viel schlimmer war diese Schwäche. Der Schwindel. Er war letzte Woche krank gewesen, eine leichte Grippe, aber so elend hatte er sich da nicht gefühlt.
    Matteo wankte zur Spüle. Wasser. Nur einen kleinen Schluck. Er konnte kein Glas aus dem Regal nehmen und erst recht nicht den Wasserhahn aufdrehen. Der Apfel im Obstkorb glänzte wie poliert und die frischen Erdbeeren rochen verführerisch – aber nein. Was er auch versuchte, nichts gelang.
    Jetzt wurde ihm direkt schlecht vor Angst. Wenn er nicht einmal mehr essen oder trinken konnte …
    Die Hand noch über der Arbeitsplatte, hielt er inne und stellte mit Bestürzung fest, dass sie nicht mehr aussah wie gewohnt. Seine Haut war farblos geworden, irgendwie durchsichtig. Als wäre sie aus Glas.
    Bleib cool. Das alles geschah nicht wirklich, es konnte unmöglich real sein. Es gab keine unsichtbaren Menschen, sein Körper löste sich nicht in eine kristalline Substanz auf. Er träumte bloß oder vielleicht wurde er gar verrückt. In diesem Moment wäre ihm diese Variante die liebste gewesen. Geisteskrankheit war behandelbar. Doch das …
    Matteo drehte sich zum Fenster und schlug die Hände vors Gesicht. Rotgoldene Abendsonne sickerte hindurch. Blendete ihn.
    »Nein, bitte nicht …«
    Auch nach mehrmaligem Blinzeln, Hinsehen und Wegsehen, Einatmen, Ausatmen und Stöhnen änderte sich nichts. Seine Hand, sein Arm, ja, sein ganzer Körper verlor an Gestalt. Und das auch noch beunruhigend schnell. Wenn das so weiterging, war er bald zur Gänze verschwunden. Fort. Einfach fort.
    Was sollte er tun? Lith fiel ihm ein. Falls du es dir anders überlegst, dann ruf nach mir , hatte sie gesagt. War das wörtlich gemeint?
    »Lith?« Nur ein klägliches Ächzen kam aus seinem Mund. Sogar seine Stimme hatte ihre Kraft eingebüßt. »Lith!«, versuchte er es lauter.
    Nichts geschah. Warum auch? Man konnte jemanden nicht einfach so herbeirufen.
    Matteo schleppte sich aus der Küche. Jeder Schritt war eine Qual, so musste es einem Neunzigjährigen ergehen. Es kam ihm vor, als brauchte er Minuten oder gar Stunden, bis er sein Zimmer erreicht hatte.
    Überrascht prallte er zurück.
    Lith saß auf seinem Bett. Den Rücken gegen die Wand gelehnt, die Beine ausgestreckt, die Augen geschlossen. In der Hand hielt sie seinen iPod, die Stöpsel steckten in ihren Ohren. Ihr Fuß wippte im Takt der Musik.
    »Lith.« Stöhnend sank Matteo auf den schmalen Teppich vor dem Bett. Er tastete nach ihrem Bein, seine Finger knisterten, als er sie berührte. Winzige Funken stoben auf, wie ein glitzernder Schneeschauer an einem sonnigen Wintertag. Dabei konnte er Lith nicht spüren. Weder ihr Bein noch die Wärme ihrer Haut. Er spürte rein gar nichts.
    Sie sah auf, die Augen voller Sorge. Dann erschien plötzlich ein breites Lächeln auf ihrem Gesicht und sie zupfte die Ohrstöpsel weg. »Tolles Ding, das muss ich schon sagen. So klein und so viel Musik.«
    Matteo nickte schwach. Nicht, dass sie nicht Recht hatte, doch der iPod interessierte ihn jetzt herzlich wenig.
    »… nichts ist für immer und für die Ewigkeit … Brauchst du mich bei deinem letzten Schritt? Ich halte dich .«
    Ihre Stimme war um einiges dunkler, wenn sie sang, und sie traf jeden Ton. Brizio hätte seine Freude an ihr gehabt.
    » Unheilig « , murmelte Matteo und auf ihre hochgezogenen Brauen hin etwas lauter: »Die Band heißt Unheilig .«
    »Gefällt mir.« Ihr Blick glitt über ihn. »Schön. Kommst du nun mit?«
    »Nein! Das nicht …«
    »Dann gehe ich mal wieder.« Lith kletterte von seinem Bett und
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