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Der Puls von Jandur

Der Puls von Jandur

Titel: Der Puls von Jandur
Autoren: Mara Lang
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marschierte schnurstracks aus dem Zimmer. Wie zum Teufel war sie überhaupt in die Wohnung gekommen?
    »Halt!«
    Sie kehrte um, blieb in der offenen Tür stehen. »Wir haben nicht ewig Zeit, Matteo. Entscheide dich.«
    »Wofür?«
    »Mitzugehen nach Jandur oder … na, eben nicht.«
    »Ich gehe nicht mit«, erklärte Matteo, bemüht, keinen Gedanken daran zu verschwenden, wo dieses Jandur wohl lag und wie man dorthin gelangen konnte.
    »Das solltest du aber.« Lith kam herein und kniete vor ihm nieder. »Du hast nämlich keine andere Wahl.«
    »Warum?«
    »Weil«, sie strich ihm mit einer flüchtigen Bewegung über die Wange – wieder konnte Matteo die Berührung nicht fühlen, nur das leise Zischeln vernehmen, als ihre Haut auf seine traf –, »bald nichts mehr von dir übrig sein wird, wenn du hierbleibst.«
    Grauen packte ihn, instinktiv wusste er, dass sie die Wahrheit sagte.
    »Wenn ich nicht mitgehe, was … geschieht dann mit mir?«
    »Was ist bisher mit dir geschehen?«
    »Ich … Niemand kann mich sehen oder hören. Ich kann nichts mehr essen, nicht trinken, ich bin irgendwie … krank.«
    Sie blickte ihn abwartend an.
    »Meine Hand ist durchsichtig .« Matteo wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum. »Aber so etwas gibt es nicht. Das ist unmöglich. Vielleicht bin ich nicht mehr normal. Ja, ich werde verrückt.«
    Lith rang die Hände. »Bist du so schwer von Begriff? Du bist nicht verrückt, du bist auch nicht krank. Du löst dich in Nichts auf.«
    »Ich löse mich auf?«
    Lith nickte. »Du verschwindest.«
    »Verschwinden? Für immer?«
    »Ja«, sagte sie leise.
    »Das heißt, ich bin tot?«
    »Noch nicht, aber bald.«
    »So stirbt doch keiner! Ich meine, man wird erstochen, erschossen oder überfahren. Man hat einen Herzinfarkt oder wird einfach alt und schläft ein. In jedem Fall ist da ein Körper.«
    »Ich habe dir das schon erklärt …«
    Matteo fiel ihr ins Wort. »Gar nichts hast du mir erklärt! Du redest um den heißen Brei herum. Ich muss mir alles zusammenreimen. Jandur, Squirra … Was hat das zu bedeuten?«
    »Willst du sterben?«
    »Nein!«
    »Dann komm mit mir. Nach Jandur. Dort ist dein Körper. Ich bringe dich zurück und du bekommst ihn wieder.«
    »Aber was macht mein Körper in Jandur? Wo liegt das überhaupt? Und wenn mein Körper dort ist, was … was bin ich dann hier?«
    »Du bist der Puls.«
    Das war der Punkt, an dem Matteo aufgab, auch nur irgendetwas verstehen zu wollen. Womöglich hatte sie ja bereits alles erklärt und er war nur zu blöd, es zu begreifen.
    Seltsamerweise störte ihn das mit einem Mal nicht mehr. Er war zu schwach, um sich weiter das Hirn zu zermartern. Sein Tod schreckte ihn nicht länger, anscheinend sollte es wohl so sein. Ein Gefühl von stillem Frieden legte sich über ihn, alles verlor an Bedeutung. Er hatte auch keine Angst mehr. Vielleicht war es das, was man »mit dem Leben abgeschlossen« nannte.
    »Okay.« Er ließ sich auf den Teppich zurückfallen. »Hau ab, lass mich sterben.«
    Für eine Weile blieb es still.
    »Du bist sturer als ein ausgewachsener Moorbulle!«, rief Lith ganz unvermittelt.
    »So etwas Ähnliches sagt meine Mutter auch immer«, flüsterte Matteo. »Obwohl ich noch nie von einem Moorbullen gehört habe.«
    »Und wenn ich dich bitte?«
    »Hm?«
    Lith beugte sich über ihn. »Matteo Danelli, bitte, bitte komm mit mir nach Jandur. Damit du nicht sterben musst.« Es klang wie ein Heiratsantrag.
    Ungewollt musste er grinsen. »Und was hast du davon?«
    Lith sprang auf.
    »Verflucht!«, schrie sie, was nur der Auftakt zu einer langen Schimpftirade war. Sie warf mit Ausdrücken um sich, die Matteo nichts sagten, die aber, ihrem Tonfall nach zu urteilen, verletzender als Messerstiche sein mussten. Dabei gestikulierte sie wild, stolzierte vor ihm auf und ab und hämmerte mit ihren Stiefelabsätzen beinahe Löcher in den Holzboden. Irgendwann verstummte sie, hockte sich zu ihm und schlang die Arme um die angezogenen Beine.
    Matteo setzte sich auf. Täuschte er sich oder waren da Tränen in ihren Augen?
    »Bitte«, flehte sie und streckte ihm die Hand hin. »Ich kann, ich darf dir nicht mehr sagen. Aber ich werde dir alles erklären, sobald es mir möglich ist. Das verspreche ich. Bitte komm mit, bevor es zu spät ist.«
    Er blickte auf ihre Hand und dann wieder hoch in ihre Augen. Sie waren tief und dunkel wie zwei Brunnen, Ehrlichkeit sah er darin. Und Verzweiflung. Eine Träne löste sich und kullerte ihre Wange herab.
    Eine
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