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Der Professor

Titel: Der Professor
Autoren: John Katzenbach
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sich beide vor. Er bezweifelte, dass es ihnen gelungen war, Nummer 4 und den alten Mann zu töten. Sie zu verwunden? Schon möglich. Ihnen eine Heidenangst zu machen? Ganz gewiss. Er war sich der Waffe in der Hand des alten Mannes nur allzu bewusst. Nummer 4 hielt vielleicht die Magnum im Anschlag, die sie für ihren Selbstmord vor laufender Kamera bekommen hatte.
    Er versuchte, die Situation logisch zu Ende zu denken, auch wenn ihm das Adrenalin durch die Adern pumpte und er das rechte Auge keinen Moment vom Sucher der Kamera nahm. »Die Waffe, die du Nummer 4 gegeben hast …«, sagte er leise und hoffte, dass über das Mikrofon der Kamera nur wenige seiner Worte ins Internet gelangten. »Wie viele Kugeln?«
    »Nur die eine, die sie brauchte«, antwortete Linda. Sie stützte die Kalaschnikow an der Hüfte ab und legte den Finger fester an den Abzug. Sie wusste, dass sie den ganzen Keller im Visier hätte, wenn sie nur ein paar Stufen hinunterginge, doch dann hätte Michael, der hinter ihr filmte, einen sehr ungünstigen Winkel. Wie ein Filmemacher, der eine komplizierte Actionsequenz – mit einer Verfolgungsjagd im Auto, mit Explosionen und wild durcheinanderlaufenden Akteuren – abdreht, ging sie blitzschnell jeden Abschnitt im Kopf durch. »Wenn wir sie hetzen –«, fing sie an, doch er fiel ihr ins Wort.
    »Hör mal«, sagte er. »Was ist das für ein Geräusch?« Obwohl es ihnen beiden vom Donnern der Salven aus nächster Nähe in den Ohren klingelte, zwangen sie sich, klar zu denken. Es war, als versuchten sie, in einem dunklen Zimmer das Kleingedruckte zu lesen. Sie brauchten ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass offenbar Gerümpel über den Zementboden geschleift und an der Wand aufgestapelt wurde. Zuerst dachte Michael an eine Barrikade und vermutete, der alte Mann und Nummer 4 wollten sich verstecken und mit ihnen dort unten einen Kampf austragen.
    Er versuchte, sich den Keller zu vergegenwärtigen, um zu
sehen
, welche Stelle sich zwei in die Enge getriebene Ratten am ehesten als notdürftiges Schlupfloch aussuchen würden. Und während er überlegte, sah er das kleine, von Spinnweben überzogene Fenster. Dieses Fenster war der einzige Ausweg oder – wenn Linda und er als Erste da wären – die ideale Zielscheibe, sowohl für die Kamera als auch für die Waffen.
    Er berührte seine Geliebte an der Schulter und legte zum universalen Zeichen, still zu sein, den Finger an die Lippen. Er signalisierte ihr, sie solle ihm folgen, allerdings erst, nachdem sie noch eine Salve losgelassen hatte. Das tat sie, indem sie die Kalaschnikow in der engen Treppenschlucht ein paarmal nach links und rechts schwenkte und einen Kugelhagel entlud, bis das Magazin leer war. Sie zog das zweite Magazin aus Michaels Tasche, schob es gekonnt und energisch in ihre Waffe und zog den Schlagbolzen zurück, so dass sie jederzeit feuern konnte. Dann rannte sie ihm hinterher.
     
    Terri Collins brauchte ein paar Sekunden, um sich darüber klarzuwerden, was am Bauernhaus vor sich ging. Bis zu der Stelle, an der sie und Mark Wolfe neben Adrians Auto standen, drangen die Schüsse in einer Lautstärke wie aus einem Fernsehapparat nebenan. Doch auch wenn sie nur gedämpft aus dem Haus kamen, bestand für sie kein Zweifel, dass es sich um automatische Waffen handelte.
    Vor Jahren hatten sie und ihre kleinen quengeligen Kinder allzu viele Stunden in der Nähe eines militärischen Schießstands zugebracht und gewartet, bis ihr Ex-Ehemann damit fertig war, Hundert-Schuss-Magazine auf fest postierte Terroristenpuppen zu leeren, hemmungslose Ballereien, die eher die Norm als die Ausnahme waren.
    Die Erinnerung durchzuckte sie wie ein Stromschlag, und sie wirbelte zu Mark Wolfe herum. »Rufen Sie Hilfe!«, brüllte sie.
    Er machte sich an dem Handy zu schaffen, während Terri mit wenigen Sätzen am Heck ihres Wagens war. Sie riss die Kofferraumklappe hoch und holte die schwarze kugelsichere Weste heraus, die sie dort aufbewahrte. Sie hatte sie vor vielen Jahren, als sie noch Streife fuhr, von ihrer Nachbarin Laurie geschenkt bekommen und kein einziges Mal getragen, seit sie das Ding an jenem Weihnachtsmorgen ausgepackt hatte.
    »Geben Sie denen die richtige Adresse«, rief sie ihm über die Schulter zu. »Sagen Sie ihnen, jeder wird gebraucht. Geben Sie Bescheid, dass mit automatischen Waffen geschossen wird. Und einen Krankenwagen! Wenn nötig, sagen Sie denen, es sei auf einen Polizeibeamten geschossen worden, dann kommen sie
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