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Der Professor

Titel: Der Professor
Autoren: John Katzenbach
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schneller.« Sie drückte die Klettverschlüsse zu und schmiegte sich die Weste an die Brust. Sie fühlte sich schrecklich klein und dürftig an. Dann lud sie ihre eigene Pistole durch.
    Sie hörte eine zweite Salve. Ohne darüber nachzudenken, was sie tat, und ohne sich klarzumachen, dass sie erst einmal zu dem Haus gelangen musste, in dem die Schüsse fielen, rannte sie los. Ihre letzte Anweisung an Wolfe lautete: »Warten Sie hier. Sagen Sie denen, wo ich hingelaufen bin!« So schnell sie konnte, raste Terri, die Waffe in der Hand, zur Einfahrt und den Weg zum Bauernhaus hinauf.
    Noch während sie um die Ecke verschwand, forderte Wolfe bereits Hilfe an.
    Als sich die Frau in der Einsatzsteuerung der örtlichen Polizei meldete, fasste er sich kurz und präzise. »Schicken Sie Hilfe«, sagte er. »So viel Sie können. Eine Polizistin ist in eine Schießerei verwickelt.«
    Als er der Beamtin die Adresse nannte, hörte er die Frau nach Luft schnappen, bevor sie sagte: »Es wird eine Weile brauchen, bis die Staatspolizei dort sein kann. Mindestens eine Viertelstunde.«
    »Wir haben keine Viertelstunde Zeit«, antwortete er kurz angebunden und beendete die Verbindung.
Mit so einem Notruf hat sie zum ersten Mal zu tun,
dachte er. Wolfe sah auf und starrte Collins hinterher. Der Wald am Beginn der Einfahrt war zu dicht, als dass er hätte sehen können, wo sie sich gerade befand; sie schien vom Erdboden verschluckt. Er war hin- und hergerissen. Einerseits hatte sie ihn angewiesen zu warten, und der Feigling in ihm konnte bestens damit leben, sich an ein schattiges Plätzchen zurückzuziehen, während die Dinge ohne ihn ihren Lauf nahmen. Doch dieser natürliche Selbsterhaltungstrieb kämpfte mit der anderen Hälfte seiner Persönlichkeit, die sehen musste, was los war, hautnah am Ort des Geschehens sein wollte und bereit war dafür, einige Risiken auf sich zu nehmen.
    Alles, was in seinem Leben zählte, hatte damit zu tun, in Reichweite zu sein. Er holte tief Luft und rannte hinter der Kommissarin her, auch wenn er sich im Takt mit seinen Schritten immer wieder warnte, sich zurückzuhalten und das Drama aus einem sicheren Versteck anzusehen.
Mach schon, das musst du dir aus der Nähe anschauen,
kam der andere Befehl und sorgte dafür, dass er in einen Sprint überging,
zu nahe muss allerdings auch nicht sein!
     
    Adrian stand unsicher auf dem Gerümpel und half Jennifer zu sich herauf. Das in Panik aufgetürmte Klettergerüst schwankte und drohte zusammenzubrechen. Er steckte seine Waffe in die Tasche und hoffte, dass sie nicht herausfiel, dann verschränkte er die Hände zur Räuberleiter für das nackte Mädchen. Sie hob den Fuß und stützte sich mit einer Hand an seiner Schulter ab, während sie mit der anderen ihren Bären festhielt. In einem einzigen gewaltigen Kraftakt hievte er sie zum Fenster hoch. Sie packte den Rahmen. Adrian sah, wie sie das Stofftier hinausschleuderte und sich zugleich an dem zersplitterten Holz festhielt. Einen Moment schwankte Jennifer, dann trat sie mit den Beinen aus und zappelte wie ein Fisch an Deck eines Boots, doch im nächsten Moment stemmte sie sich hoch und zwängte sich nach draußen.
    Adrian atmete erleichtert auf. Er staunte ein wenig darüber, was er getan hatte, und er hatte keine Ahnung, wie er selbst es hinaufschaffen sollte. Gleich einem Vogel auf einem dünnen, schwankenden Zweig hielt er sich mühsam auf dem Stapel und sah sich nach etwas um, das er zusätzlich auftürmen konnte, um einen halben Meter Höhe zu gewinnen. Er fand nichts. Ihm wurde mulmig, und er merkte, wie ihn die Resignation beschlich.
Sie kann weglaufen. Ich stecke hier fest. Ich würde gern hier rauskommen, aber ich kann nicht
 …
    Und genau in dem Moment, als er sich geschlagen gab, hörte er von oben: »Professor, schnell!« Jennifer, die durch das Fenster verschwunden war, lehnte sich jetzt wieder herein und streckte ihm – mit dem Körper halb draußen, halb drinnen – den dünnen Arm herunter. Er glaubte nicht, dass sie auch nur annähernd die Kraft aufbringen würde, ihm zu helfen.
    »Versuch’s, Audie! Um Gottes willen, versuch’s!«,
brüllte ihm Brian ins Ohr.
    Adrian sah auf. Nur dass sich ihm diesmal nicht das Mädchen durch das Fenster entgegenreckte, sondern Cassie. »Komm schon, Audie«, flehte sie. Er zögerte nicht. Er klammerte sich an ihrem Arm fest, griff nach der Wand und stieß sich, so fest er konnte, sowohl mit dem gebrochenen als auch dem heilen Fuß ab. Er fühlte, wie
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