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Der Professor

Titel: Der Professor
Autoren: John Katzenbach
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konnte nicht begreifen, wieso er das Gewehr nicht fallen ließ. Er hatte keine Chance.
    Kein einziges Mal in all ihren Jahren in dem kleinen Polizeirevier hatte sie sich gezwungen gesehen, ihre Waffe aus dem Holster zu ziehen, außer zu Übungszwecken am Schießstand. Als es nun zum ersten Mal ernst wurde, versuchte sie, sich sämtliche Vorschriften ins Gedächtnis zu rufen. Sie wusste aus ihrer Ausbildung, dass man keine zweite Chance bekam. Doch die Waffe schien irgendwie mitzudenken, ohne Terris Dazutun zu zielen und die Schüsse abzugeben; sie war sich kaum bewusst, dass sie abgedrückt hatte. Mach keinen Fehler. Streck die Zielperson nieder. Die Pistole der Polizistin donnerte fünf Mal, so wie es Vorschrift war.
    Stahlummantelte Geschosse drangen tief in Michaels Fleisch. Von der Wucht der aus großer Nähe abgegebenen Schüsse bäumte er sich auf und stürzte nach hinten. Er war tot, bevor er einen letzten Blick auf den Himmel erhaschte.
    Wie nach einer großen Anstrengung atmete Terri Collins einmal tief aus. Benommen machte sie einen Schritt nach vorn. Auch wenn sich ihr alles im Kopf zu drehen schien, war jeder Nerv bis zum Zerreißen gespannt. Sie starrte wie gebannt auf die Gestalt vor ihr am Boden. Wo seine Brust gewesen war, bildete sich eine große Lache Blut. Der Anblick des Mannes, den sie getötet hatte, übte eine magische Wirkung auf sie aus. Wie unter Hypnose wäre sie reglos stehen geblieben, hätte sie nicht in dem Moment den Schrei gehört.
    Linda beobachtete den Tod ihres Geliebten vom anderen Ende des Bauernhauses aus. Ein unerträglicher Anblick. Sie sah die Polizistin vor Michael stehen. Sie sah das Blut. Es war, als würde ihr das, was ihr Leben ausmachte, aus dem Herzen gerissen. In Panik und Verzweiflung füllten sich ihre Augen mit Tränen, und sie rannte los.
    »Michael! Michael! Nein!«, rief sie und feuerte dabei die restliche Munition ihrer Kalaschnikow ab.
    Durchschlagkräftige Geschosse drangen in Terri Collins ein. Sie merkte, wie ihr die eigene Waffe aus der Hand flog, als eine der Kugeln sie im Handgelenk erwischte. Eine andere traf sie, als sie schon taumelte, direkt über der Weste und schlitzte ihr wie mit einem Messer die Kehle auf.
    Sie landete auf dem Rücken und starrte in den Himmel. Sie merkte, wie ihr warmes Blut aus der Brust nach oben quoll und sie zu ersticken drohte, so dass sie um jeden weiteren Atemzug rang. Sie wusste, dass sie an ihre Kinder, an ihr Zuhause und all das denken sollte, was sie nicht mehr erleben würde, doch dann durchflutete sie die Agonie wie heißes, flüssiges Blei. Ihr blieb nicht einmal die Zeit für den Gedanken
Ich will nicht sterben,
bevor sie zum letzten Mal röchelnd Atem holte.
    Linda rannte immer noch. Sie warf das Maschinengewehr weg und zog die Pistole, die ihr Michael in den Jeansgürtel gesteckt hatte. Sie wollte weiterschießen, als könnte sie, wenn sie die Polizistin immer und immer wieder tötete, die Zeit umkehren und Michael zum Leben erwecken.
    Linda warf sich über ihren Geliebten und hielt ihn in den Armen wie Michelangelos Maria den gekreuzigten Sohn. Sie strich ihm mit den Fingern übers Gesicht und versuchte, ihm das Blut von den Lippen zu wischen, als könnte ihn dieser Verzweiflungsakt ihr wiedergeben. Sie heulte vor Qual.
    Und dann schlug der Schmerz in rasende Wut um. In unbändigem Hass kniff sie die Augen zusammen und rappelte sich hoch. Sie griff nach der Pistole und sah den alten Mann auf dem Boden ausgestreckt. Sie wusste nicht, wer er war und wie er hierher gefunden hatte, doch dass er an allem schuld war, stand außer Zweifel. Sie konnte auch nicht sagen, ob er tot oder lebendig war, sondern nur, dass er es nicht verdiente, am Leben zu bleiben. Fest stand auch, dass Nummer 4 noch in der Nähe sein musste.
Bring sie um. Bring sie beide um. Und dann bring dich selber um, damit du für immer bei Michael sein kannst.
Linda hob die Waffe und nahm die Gestalt des alten Mannes ins Visier.
     
    Adrian konnte sehen, was die Frau tat. Hätte er sich bewegen und irgendwo in Deckung kriechen oder seine eigene Waffe ziehen und schießen können, hätte er nicht gezögert. Doch er konnte nichts dergleichen tun. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu warten. Er konnte es akzeptieren, wenn er auf der Stelle erschossen würde, solange Jennifer die Flucht gelang. Schließlich hatte er es selbst längst zu Ende bringen wollen und wurde mitten in seinen Selbstmordplänen unterbrochen, weil er beobachtete, wie das Mädchen
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