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Der Professor

Titel: Der Professor
Autoren: John Katzenbach
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Fingerspitzen. Es machte sie wütend.
    Adrian drückte immer wieder ab. Leere Patronenhülsen schwirrten um ihn herum. Er hörte, wie ihm Tommy ins Ohr brüllte:
»Jetzt, Dad! Das ist ihre Chance!«
Während er feuerte, rief er Jennifer zu: »Los! Los! Renn los, mach schon!« Jennifer verstand nicht wirklich, was er sagte, doch im Prinzip war klar, worum es ging:
Lauf zur Scheune. Da hast du Deckung. Dann renn weiter in den Wald. Lauf weg. Versteck dich. Schlag dem Tod ein Schnippchen.
    Sie rappelte sich auf und rannte ohne zu zögern los. Sie rannte, so schnell sie konnte, sie holte das letzte bisschen Kraft aus sich heraus und legte ein Tempo vor, wie sie es sich auf ihrem Bett in der Zelle ausgemalt hatte. Sie spürte, wie der Wind sie streichelte, dann stellte sie sich vor, wie ihr eine gewaltige Böe in den Rücken blies und sie auf dem Weg zur rettenden Scheune vorantrieb.
    Auch Adrian stand auf. Auch er lief los, doch mit dem gebrochenen Fuß knickte er bei jedem Schritt ein, und so schleppte er sich mit dem hinkenden Gang eines Greises davon. Zugleich feuerte er und versuchte in der Hoffnung auf einen glücklichen Zufallstreffer die Hausecke unter Beschuss zu nehmen. Er hatte erst den halben Weg zurückgelegt, als ihn ein ungeheurer Schlag wie ein Blitz erfasste, in die Höhe hob und wie ein Federgewicht zu Boden warf. Er schlug mit dem Gesicht auf die feuchte Erde auf. Er schmeckte die Erde, und ihm sausten die Ohren, während ihm ein glühender Schmerz durch die Beine bis in die Taille hoch und schließlich ins Herz schoss, das in diesem Moment stillzustehen drohte. Er konnte nicht die Worte denken:
Ich wurde getroffen,
auch wenn genau das geschehen war.
    Er sah verschwommen wie durch graue Nebelschleier, als sei mit einem Schlag der Abend hereingebrochen. Er fragte sich, ob Jennifer es bis zur Scheune geschafft und sich so weit in Sicherheit gebracht hatte. Er hoffte, dass Cassie und Brian und Tommy sie auf dem Rest ihres Weges begleiten würden, weil er es nun nicht mehr konnte. Er schloss die Augen und hörte einen unheilvollen Laut. Es war ein lautes Klicken. Er wusste nicht, dass es entstand, wenn bei einem Gewehr ein leeres Magazin ausgestoßen und ein neues eingeschoben wird, er wusste nur, dass es den Tod bedeutete.
     
    Als Adrian sich auf den Weg über das freie Gelände machte, hatte Michael die Kamera auf der Motorhaube des Trucks plaziert. Er hatte auf Automatik geschaltet, damit sie weiterfilmte. Es war wie der Dutch Cut eines Filmregisseurs, mit einer Bildeinstellung im spitzen Winkel. Ihn selbst fing sie nur von hinten ein, so dass seine Anonymität gewahrt blieb und ihre Kundschaft nichts weiter als seinen Rücken zu sehen bekam. Er feuerte einen einzigen Schuss mit seiner Flinte Kaliber 12 ab. Die Schrotkugeln trafen den alten Mann an den Oberschenkeln und im Bereich der Hüfte. Sie erwischten ihn mit der Wucht eines Linebackers oder wie das brutale Foul eines Fußballprofis mit harten Stollensohlen, für das er die Rote Karte sieht, und schleuderten ihn in die Luft, bevor sie ihn zur Strecke brachten.
    Michael stieß die Patronenhülse aus, hob die Waffe an die Schulter, um diesmal sorgfältig auf die Gestalt zu zielen, die gekrümmt vor ihm lag.
Bringen wir diese Show zu Ende,
dachte er und überhörte die Person, die hinter ihm war, bis sie ihm in schneidendem Ton den Befehl gab: »Polizei! Keine Bewegung! Waffe fallen lassen!«
    Er konnte es nicht glauben und reagierte nicht.
    »Ich sagte,
Waffe fallen lassen!
«
    Das passte definitiv nicht in sein Konzept. Seine Gedanken überschlugen sich. Wo steckt Linda? Wer ist das? Aber Nummer 4 ist so gut wie erledigt. Was geht da vor sich?
    Diese Flut an Fragen hallte in irgendeinem Winkel seines Bewusstseins wider, dem er nie Beachtung schenkte und der ihm völlig fremd war. Statt der Aufforderung Folge zu leisten, wirbelte Michael herum und schwang das Gewehr in die Richtung der Stimme, die glaubte, sie könnte
ihm
Befehle erteilen.
    Er hegte nicht die Absicht, sich damit aufzuhalten, sondern hatte nur den einen Wunsch, denjenigen auf der Stelle zu erschießen und sich dann wieder seiner bedeutend wichtigeren Aufgabe zu widmen und Serie Nummer 4 zum Abschluss zu bringen.
    Es war ihm nicht mehr vergönnt.
     
    Terri Collins hockte in Schussposition hinter dem Truck. Sie hielt die Pistole mit beiden Händen und zielte genau. Der junge Mann schien sich in Zeitlupe zu bewegen und bot ihr nunmehr statt der Breitseite des Rückens die Brust. Sie
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