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Der Preis des Lebens

Der Preis des Lebens

Titel: Der Preis des Lebens
Autoren: Christian Endres
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in alle Ewigkeit Zeit, mich meinem Trübsinn hinzugeben, ja?« Lange Fingernägel, die sich in seinen Oberarm gruben, veranlassten Visco dazu, versöhnlicher hinzuzufügen: »Verzeih. Es ist nur ... ich hatte vor heute Abend mit meinem Leben abgeschlossen.« Er schluckte hart. »Ich wollte in deinen Armen sterben. Es gibt weiß Gott schlechtere Orte dafür. Auf alle Fälle hatte ich mich entschieden. Und jetzt begreife ich nicht, wieso ich nicht ...«
»Tot bin?«, führte Almacya den Satz ruhig zu Ende und räkelte sich genüsslich an Viscos Seite.
Auch jetzt ging es Visco noch nicht glatt über die Lippen. »Tot bin«, wiederholte er gedrückt und lauschte seinem und Almacyas verlangsamten, leisen Herzschlag – nur ein schwaches Echo des wahren Lebens, aber eben auch nicht die kalte, lautlose Abwesenheit von diesem.
»Du bist nicht tot. Nur kein Mensch mehr.« Almacya legte ihren Kopf auf Viscos Schulter und biss ihm verspielt ins Ohrläppchen. Als sie merkte, dass Visco sich nicht darauf einließ, strich sie mit ihrer warmen Zungenspitze über die beiden runden Male an seinem Hals und erklärte sanft:
»Sieh: Würden wir die Existenz all derer beenden, die wir des Nächtens aufsuchen, wäre unsere Art in nicht allzu ferner Zukunft ausgestorben. Viele geben das nicht gerne zu, aber ... die Kirche hat in den letzten Jahren einiges dazu gelernt und viel getan, um unseresgleichen vom Antlitz der Erde zu tilgen. Ihre Jäger sind sehr gründlich, und unsere Reihen lichten sich immer weiter. Ohne das Geschenk, das ich dir heute Nacht gemacht habe, würden wir bald nur noch in Schauermärchen existieren und als staubiges Sagengut verrotten.« Sie lächelte sanft. »Du bist nun auf dem Weg in die Dunkelheit, Liebster, außerhalb des Flusses der Zeit. Aber du bist nicht tot. Viel mehr wandelst du in der Finsternis zwischen Leben und Tod. Hier gelten andere Gesetze – andere als im Leben, aber auch andere als im Tod. Glaub nicht die Ammenmärchen, die du aus dem Theater oder den Büchern dieser verträumten Schwachköpfe kennst.« Jetzt grinste Almacya wie ein hungriges Raubtier. Ihre Stimme veränderte sich, wurde rauchiger, dominanter. »Und wer sagt überhaupt, dass Ihr Euren Zweck für mich schon nach einer Nacht erfüllt habt, mein Herr?«
Visco blieb trotz der Verlockung ernst.
»Ihr übergebt also nicht alle Menschen dem Tod, sondern verwandelt manche bloß ? Also doch so wie in den Geschichten?«
Almacya zögerte. »Darauf läuft es letztlich hinaus«, gab sie nach ein paar Sekunden ungewohnt verschlossen zu. »Auf gewisse Art und Weise. Und ohne den ganzen romantischen Friedhofskitsch, ohne diese seltsame Meister-Opfer-Sache, ohne Fledermäuse, Särge, Erde und Wölfe, aber ... ja. «
»Wer bestimmt, wer Beute ist und stirbt – und wer nicht?«
Almacya rollte sich mit einem Grinsen auf ihn. Ihre dunklen Augen blickten ihn voller Zuneigung an; ihre schlanken Hände strichen über seine Lendengegend.
»Betrachte dich nicht als Beute, Liebster«, schnurrte sie und küsste Visco zunächst zärtlich auf den Mund. »Betrachte dich als Auserwählten. Meinen Auserwählten ...«
*
    Es entzog sich Lorns Verständnis, wieso reiche Menschen dazu neigten, die Hinter- und Dienstboteneingänge ihrer Domänen meist nur wie die Tür zu einem besseren Hühnerstall zu sichern, während sie den Rest ihrer formidablen Residenzen mit menschlichen, tierischen und magischen Wächtern regelrecht überzogen. Aber Lorn wollte sich nicht beschweren.
Sein Stiefel zerschmetterte das mittlere Brett der Hintertür mit einem einzigen kräftigen Tritt. Anschließend schoss seine Hand wie eine hungrige Schlange durch das gezackte Loch zwischen den gesplitterten und eingerissenen Brettern, tastete kurz an der Innenseite der Tür entlang und schob schließlich den Riegel zurück.
Ein vollkommen überrumpelter Wächter, der auf einem Hocker neben der Tür gedöst hatte, kam nicht einmal mehr dazu, nach dem Streitkolben zu greifen, der neben ihm an der Wand lehnte – Lorn schlug dem Mann mit der Breitseite seines Schwerts gegen die Stirn, ehe der Kerl ganz die Augen geöffnet hatte. Lorn eilte sofort weiter. Mit wenigen schnellen Schritten erreichte er eine Treppe, ohne dass ein verräterisches Atemgeräusch oder das leise Knarren einer Bodendiele sein Vordringen unterwegs auch nur einmal verlangsamt hätten.
Im ersten Stock angekommen, verweilte der Jagam einen Moment und lauschte mit halb erhobener Klinge in die Düsternis eines weiteren, noch
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