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Der Preis des Lebens

Der Preis des Lebens

Titel: Der Preis des Lebens
Autoren: Christian Endres
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Engel, Nixen, Satyrn und Einhörner eine Waldlichtung bevölkerten und um einen kleinen See eine Mischung aus Krieg und Orgie zelebrierten.
Irgendwann löste Visco sich vom liebreizenden Anblick in den Kissen, schlug die aufgeplusterte Daunendecke zurück, stieg geschmeidig aus dem Bett und machte sich daran, seine am Boden verstreuten Kleidungsstücke zusammenzusuchen. Ohne die Hast, die er beim Ausziehen an den Tag gelegt hatte, schlüpfte er nacheinander in seine schwarzen Beinkleider, das lehmfarbene Leinenhemd und die ledernen, kniehohen Reitstiefel. Als er sich zum Abschluss gerade seinen langen schwarzen Umhang um die Schultern schwingen wollte, klopfte es drängend an der Tür zum Schlafgemach.
»Josephiné? Ich bin's. Öffne bitte.«
Die Stimme eines Mannes. Aufgeregt. Nervös. Besorgt. Wütend.
Visco schloss die Augen und konzentrierte sich, bis er den Herzschlag des Fremden auf der anderen Seite der Tür spüren konnte und der pochende Lebensmuskel des Neuankömmlings Viscos feine Raubtiersinne zum Vibrieren brachte.
Der Vampir lächelte. Auch wenn es keineswegs üblich war, dass der gehörnte Ehemann seiner Gattin so schnell auf die Schliche kam, konnte Visco dem Ganzen eine gewisse Ironie nicht absprechen, zumal er die köstliche Furcht des Mannes jenseits der Tür förmlich riechen konnte.
»Josephiné!« Klopf. Klopf. »Mach bitte auf.« Klopf. Klopf. Klopf. »Josephiné?« Klopf. Klopf. Klopf. Klopf. Klopf. »Josephiné!« Der Puls hinter dem weiß gestrichenen Holz beschleunigte sich. Als weitere Rufe ebenfalls unbeantwortet blieben, fluchte der Mann auf dem Gang wie ein drittklassiger Matrose, nahm dem Geräusch sich entfernender Schritte nach kurz Anlauf und warf sich dann mit aller Macht gegen die verriegelte Tür.
Visco sah amüsiert dabei zu, wie beim dritten dieser Anstürme ein halbes Dutzend Bücher mit lautem Poltern aus einem an der Wand befestigten Regalbrett neben der Tür fielen.
»Josephiné?!« Der Mann draußen deutete das Gerumpel falsch und unterbrach seine Bemühungen, um zu lauschen. Dabei trat er so nahe an die Tür heran, dass sein Schatten den nicht einmal fingerbreiten Spalt zwischen Parkett und Türunterkante verdunkelte. Visco konnte sich lebhaft vorstellen, wie der Kerl seine Wange gegen das Holz drückte und auf jedes noch so leise Geräusch achtete. Ein sardonisches Grinsen kräuselte die Lippen des Vampirs, als er sich gerade so laut räusperte, dass man es draußen auf dem Gang mit Mühe hören konnte.
»Ähem.« Visco spürte, wie der Puls des Fremden sich abermals beschleunigte und nun so heftig zu rasen begann, als wolle ihm das Herz jeden Moment aus der Brust springen und sich ohne den Rest der Körpers unter der Tür hindurch quetschen.
»Josephiné? Josephiné! Mach auf! Josephiné?! Verflucht ...!« Der schmale Streifen über der Schwelle hellte sich wieder auf. Nur wenige Augenblicke später ging ein weiterer Ruck durch das Portal, da der Mann sich entschlossener denn je gegen das Holz warf.
Riegel und Schloss hielten jedoch.
Visco wandte sich von der zitternden Tür ab und gestattete sich einen letzten halb sehnsüchtigen, halb traurigen Blick auf den grazilen Körper, der sich unter den Decken auf dem Bett abzeichnete. Dann trat der Vampir an eine kunstvoll geschnitzte Kommode, wo er nach einem weißen Taschentuch griff, auf das mit hellblauem Garn die Initialen J. H. gestickt waren. Der Duft von frischen Rosen und Josephinés köstlicher Haut stieg ihm in die Nase, als er sich vorsichtig die Mundwinkel abtupfte und das nun ebenfalls mit hellem Blut besudelte Taschentuch anschließend mit spitzen Fingern an seinen Platz zurücklegte. Die Ruhe, die Visco dabei an den Tag legte, ließ nicht vermuten, dass er überhaupt nur wahrnahm , wie sich der Mann draußen auf dem Gang abmühte und mit der Beharrlichkeit der Brandung immer und immer wieder gegen die Tür warf.
Nachdem er eine Weile teilnahmslos in den Spiegel über der Kommode geblickt hatte, schritt Visco endlich in Richtung des offen stehenden Fensters, durch das frische Nachtluft in das Schlafgemach strömte und mit den halb durchsichtigen Seidenvorhängen spielte. Mit katzenhafter Gewandtheit stieg der Vampir über die Fensterbank aus Marmor hinweg und drehte sich in Richtung des Raumes, sodass seine schlanken Finger bequem nach der Kante des kühlen Gesteins greifen konnten. Seine Füße fanden derweil Halt auf einem schmalen Mauersims, ehe Visco mit den Stiefelspitzen nach dem Rosenspalier an der
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