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Der Preis des Lebens

Der Preis des Lebens

Titel: Der Preis des Lebens
Autoren: Christian Endres
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Hauswand unter ihm tastete.
Just als sich der Vampir in die Nacht hinab lassen wollte, gab die Tür dem unnachgiebigen Ansturm von draußen doch endlich nach – das Portal explodierte förmlich nach innen und krachte mit einem lauten RUMS! gegen die Wand. Ein Hüne von einem Mann stolperte mit gezogenem Kurzschwert und hochrotem Kopf ins Zimmer und sah sich hektisch um. Nach drei Metern erstarrte er allerdings mitten im Schritt und stierte wie vom Donner gerührt auf die ausladende Bettstätte.
»Josephiné?« , murmelte der Bärtige irritiert. Seine Stimme war mit einem Mal nicht mehr als ein schwaches, heiseres, angespanntes Flüstern, während er die Szene vor sich schnell erfasste: der blutbefleckte Kissenbezug; das blasse Gesicht, das fast mit den Laken verschmolz; und die beiden roten Male, aus denen jeweils ein dünner Rinnsal Blut tröpfelte und in die weißen Federkissen sickerte. »Josephiné ...« Visco, der den Hünen vom Fenster aus beobachtete, runzelte unterdessen abermals die Stirn. Kein Wutausbruch? , fragte der Vampir sich enttäuscht, räusperte sich erneut mit künstlicher Übertriebenheit und schenkte dem Mann ein gönnerhaftes Lächeln, das zwei lange, spitze Eckzähne offenbarte .
»Sie war gut«, raunte er mit genüsslicher Boshaftigkeit.
Die Schultern des Riesen versteiften sich, als er den Kopf ruckartig in Viscos Richtung drehte und den Vampir am Fenster erstmals direkt ansah. Schwer atmend musterte er den bleichen Fremden. Registrierte die spitzen Zähne. Und wusste endgültig und mit erschreckender Gewissheit, was hier geschehen war.
Schließlich hatte Visco DeRául sich in den letzten Wochen so etwas wie einen Ruf in Namask erarbeitet.
Der flackernde Blick des Bärtigen gewann kurz an Sicherheit, wurde hart und berechnend.
»Was hast du mit meiner Tochter gemacht?«, knurrte der Mann gefährlich leise und machte einen Schritt auf das Fenster zu. Als er weiter sprach, klang seine Stimme wie das ferne Donnergrollen eines schweren Hitzegewitters, das sich über Visco entladen wollte. »Sie war noch ein Kind , du Bastard!« Zum Ende hin brach die Stimme des Mannes endgültig, doch bekam Visco das gar nicht mehr mit. Auch das überhebliche Grinsen verschwand von einer Sekunde auf die nächste aus Viscos Gesicht, als hätte die kühle Nachtluft es fortgeblasen.
Tochter? Kind? Unsicher blickte der Vampir in Richtung des Bettes.
Sicher, sie hatte auf gewisse Art und Weise ziemlich jung ausgesehen – doch gerade das hatte ihn doch so angezogen, ja seine Aufmerksamkeit auf dem Ball erst auf sie gelenkt und als Gespielin für diese Nacht auserkoren ...
»Verdammtes Monster!« Die Bewegung des Bärtigen kam so plötzlich, dass sie Visco vollkommen überraschte. Scheinbar ohne Vorwarnung löste sich der Mann aus seiner Starre und sprang mit erhobenem Schwert auf Visco zu, das Gesicht vor Wut und Schmerz wild verzerrt. Tränen der Verzweiflung und des Zorns liefen ihm über die Wangen und verfingen sich in seinem dunklen Vollbart.
Dergestalt unsanft aus seinen Überlegungen gerissen, ließ Visco sich kurzerhand einfach fallen. Erst nach zwei, drei Metern gelang es ihm, seine Finger in die Rosenranken zu krallen – spitze Dornen ritzten fahle Haut, wenngleich sich die Stichwunden bereits wieder schlossen, noch ehe der flüchtende Vampir ihrer auch nur richtig gewahr werden konnte. Für den Schmerz hatte Visco in diesem Moment ohnehin keinen Sinn – selbst dann nicht, als sein rechtes Knie hart gegen den Stein der Hauswand schlug. Viscos Gedanken kreisten einzig und allein um die Worte des Mannes, der über ihm am Fenster tobte und einen gequälten Schrei nach dem anderen ausstieß, derweil er mit dem Schwert die Luft vor sich zerschnitt und mit seinem Gebrüll das ganze Haus aufweckte.
Wie in Trance kletterte Visco das Spalier hinab, überwand die Rasenfläche zwischen Haus und Straße und erreichte unbehelligt die hohe Steinmauer, die das Anwesen umgab. Noch bevor die ersten Laternen angezündet wurden und Hundegebell und laute Kommandos die Nacht zerrissen, setzte er über die Mauer hinweg und verschwand in einer dunklen Gasse.
Er wusste, dass die Hunde keine Fährte finden würden.
Als er sich wenige Minuten später mit geschlossenen Augen gegen eine Hauswand lehnte und verzweifelt versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen, hatte er sowieso längst andere Sorgen als etwaige Verfolger auf zwei oder vier Beinen.
Denn mit der gleichen Gewissheit, die er zuvor bei den Hunden an den Tag gelegt
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