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Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge
Autoren: Marie-Sabine Roger
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war etwas anderes als das platte Land, aus dem nichts als Strommasten, Fabriken und Windräder emporragen. Vor seinen Augen breiteten sich Hügel und Wälder aus. Hier gab es Obstbäume, Esel auf Wiesen, Federvieh im Hühnerhof, Ziegen, das Haus mit den dunkelroten Läden und Blumen vor den Fenstern, die Gebäude drum herum, Schuppen und Scheunen. Der himmelblaue Himmel, wie auf einem Reisebüroplakat. Zu schön, um wahr zu sein.
    Da konnte einem angst und bange werden.

 
    A bends saßen wir draußen, es war mild. Clo hatte ein paar Freunde und Nachbarn eingeladen, darunter ein Landwirtspaar, zwei pensionierte Engländer, einen Tischler und eine zierliche junge Frau, deren Blicken Cédric beharrlich auswich. Aber ich hatte trotzdem das Gefühl, er würde sich oft zu ihr umdrehen.
    Clo hat den Jungs von ihrem Projekt erzählt, von sich, von ihrem Werdegang , wie es in Bewerbungsgesprächen immer so schön heißt. Sie hat lange mit Kindern gearbeitet, dann in einer Beschützenden Werkstätte. Hier möchte sie etwas in der gleichen Art aufziehen, aber vielfältiger. Einen Ort schaffen, der anders ist, zugleich Arbeitsgemeinschaft, Biohof, Ziegenkäserei, Kinderbauernhof, auch für Schulklassen und Ferienlager, und Gasthof …
    Sie hat noch keinen genauen Plan, sie lässt den Dingen ihren Lauf. Clo steckt bis oben hin voll mit guten Absichten und Ideen. Und meistens setzt sie sie auch um. Sie hat viel Kraft.
    Es hat mehrere Jahre gedauert, bis sie den richtigen Ort gefunden hat, diesen großen, ruhigen Hof inmitten von Wäldern und Feldern. Aber für eine Frau allein, auch für eine Clo, ist es schwierig. Sie braucht Arbeitskräfte – für den Traktor, das Melken, die landwirtschaftlichen Maschinen. Zusätzliche Arme, um zwei, drei Mauern hochzuziehen, zwei, drei Wände rauszureißen, hier ein Dach und da ein Bad zu erneuern, kurz: für den Kleinkram …
    Sie hat uns das alles erklärt, während sie uns einen Coq au vin auftischte, von dem wir sofort wussten, dass er unvergesslich bleiben würde. Mit einem Blick auf Olivier, der sich die Finger ableckte, um keinen Tropfen von der Sauce zu verschwenden, beendete sie ihren kleinen Vortrag: »Mir fehlt hier ein Mann.«
    Dann musste sie selbst lachen über die mögliche Deutung dieses Satzes und ist schnell in den Keller gelaufen, um noch eine Flasche Wein zu holen und etwaigen Bemerkungen zu entgehen.
    Olivier hat ihr nachgeschaut und ist erstarrt wie ein Vorstehhund, Nase in die Luft gereckt, regloser Blick, bis sie wieder an ihrem Platz saß. Sie waren schön wie zwei Berge, die sich endlich begegnen, wie das Riesenpaar Gargamelle und Grandgoschier.
    Roswell ist früh schlafen gegangen, er war erledigt. Alle haben ihm eine gute Nacht gewünscht, in einem normalen Ton, ohne übertriebene Freundlichkeit.
    Clo hatte ihm ein Zimmer im Erdgeschoss hergerichtet.
    Ich habe ihn begleitet, ihm seine Decke gereicht, seine Nachttischlampe angelassen und ihm ein Gutenachtküsschen gegeben.
    »Aleksh?«
    »Ja?«
    »Isssehr schhönhier!«
    »Ach ja? Gefällt es dir also?«
    »Mja.«
    »Umso besser. Mir gefällt es auch.«
    Clo und ich haben bis spät in die Nacht geredet, während die Jungs sich um den Abwasch kümmerten. Das Gespräch lief hierhin und dorthin. Ihr Leben, mein Leben, die Zeit, die vergeht. Sie hätte gern ein Kind. Sie sagt, sie würde darüber nachdenken, immer öfter.
    »Einunddreißig, da wird es doch langsam Zeit, meinst du nicht?«
    »Ja, bestimmt.«
    Ich weiß es nicht. Für mich wird es dann Zeit, wenn ich jemanden kennenlerne, mit dem ich Lust habe, eins zu bekommen. Ohne dass mich das Bedürfnis überfällt, sofort und weit weg abzuhauen.
    »Meinst du, deine Freunde könnten eine Weile bleiben?«
    »Beide?«
    »Ja. Oder zumindest einer von ihnen.«
    »Olivier zum Beispiel?«
    »Ja, zum Beispiel.«
    »Das ist natürlich eine Frage ohne jeglichen Hintergedanken, oder?«
    »Natürlich.«
    Ich habe gespürt, wie sie im Dunkeln lächelte.

 
    E ine Woche vergeht schnell. Aber mehr ist auch nicht nötig, um ein Leben zu ändern.
    Olivier hat plötzlich eine wahre Leidenschaft fürs Basteln in sich entdeckt, Reparatur von Haushaltsgeräten eingeschlossen. Er wirbelt im ganzen Haus herum. Er schraubt, klebt, schweißt, erneuert Dichtungen, Verteilerkästen, Steckdosen. Ich habe ihn noch nie so aktiv gesehen, auch wenn sich sein Tempo nach wie vor in einem sehr überschaubaren Rahmen hält. Cédric wirkt noch verblüffter als ich. Als Olivier pfeifend einen
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