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Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge
Autoren: Marie-Sabine Roger
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lassen. Nicht wahr, mein Dusselchen? Es wird mir ganz komisch vorkommen, wenn ich dich nicht mehr am Hals … äh, im Haus habe. Man hängt schließlich nach all den Jahren aneinander.«
    »Aber andererseits, Lénou, muss man sich doch auch in ihn hineinversetzen, und wenn er meint, dass es ihm dort besser geht …« Bertrand hat sich zu seinem Bruder umgedreht: »Willst du da wirklich hin, in diese komische Werkstätte?«
    »Mmja.«
    »Aber dann bist du weit weg, du wirst uns nicht mehr sehen …«, hat Marlène mit nachdenklicher Stimme eingeworfen. Sie musste schon am Rechnen sein, wie viel Miete sie für das Zimmer verlangen könnte.
    Roswell hat geseufzt.
    »Es zerreißt ihm auch das Herz, da bin ich mir sicher«, habe ich gesagt. »Aber es ist ihm genauso bewusst, dass er für euch eine Last ist. Vor allem für dich, Marlène.«
    »Ach, so sehr nun auch wieder nicht. Man muss ja nicht gleich übertreiben. Für die Familie ist einem doch keine Mühe zu viel«, hat sie mit verlogener Stimme und abwesendem Blick gemeint und dabei an ihren BH-Trägern rumgezupft.
    Wir haben alle »So ist es« und »Das ist wohl wahr« gemurmelt.
    Dann fiel die Rührung in sich zusammen, schneller als ein Soufflé. Nach einer kurzen Pause fragte Marlène interessiert: »Und wie ist es eigentlich da auf dem Land, wo er wohnen will? Ist es hübsch?«
    Sie war in den Bergen auf den Geschmack gekommen und sah sich schon bei Clo den nächsten Urlaub umsonst verbringen. Die Sommer im Grünen, das wäre doch nicht schlecht … Ich kannte sie inzwischen ganz gut.
    Ausführlich habe ich ihr die Scheunen, die Melkmaschine, den Hühnerhof, die Traktoren beschrieben. Das helle Haus, die Blumen, den Tisch unter den Bäumen, den Obstgarten und die Hügel ringsum habe ich dagegen nur gestreift. Ich habe ihr ein sehr landwirtschaftliches Bild gezeichnet, mit viel Matsch, Schmutz und Gestank. Roswell nickte, er stimmte mit zufriedenem Blick zu.
    »Na, so was, na, so was, da hast du aber wirklich großes Glück!«, hat Marlène gemeint, in dem gleichen süßlichen Ton, mit dem sie zu einem Sterbenden gesagt hätte: »Na, du siehst aber prächtig aus!«
    »Wir könnten ihn ja vielleicht ab und zu besuchen, wer weiß?«, hat Bertrand vorsichtig gemeint.
    Marlène hat ihm einen strengen Blick zugeworfen. Dann hat sie tief geseufzt: »O ja, ich würde ihn wahnsinnig gern besuchen, wenn da nicht meine Ziegenallergie wäre …«
    Bertrand hat erstaunt eine Augenbraue hochgezogen.
    Marlène machte ein beleidigtes Gesicht. »Jetzt tu nicht so, als wüsstest du nichts von meinen Allergien! Hast du etwa vergessen, dass ich auf dem Land Brennnesselsucht kriege?«
    »Dassiss aber schhade!«, hat Roswell gemeint.
    »Ja, wirklich schade«, habe ich bekräftigt.
    »Vielleicht können wir ja trotzdem irgendwann mal vorbeifahren? Nur auf einen Sprung? Um ihm hallo zu sagen?«, hat Bertrand insistiert, unter Einsatz seines Lebens.
    »Das kannst du ja machen, wenn du willst. Ich werde sicher kein Quick-Ödem riskieren, bloß um den Död… um deinen Bruder zu besuchen.«
    »Na also!«, habe ich gesagt. »So machen wir’s: Bertrand wird allein kommen, aber es wird so sein, als wärt ihr beide da. Du wirst mit deinen Gedanken und deinem Herzen dabei sein, Marlène. Was zählt, ist die gute Absicht!«
    »Genau«, hat sie gemeint und an ihrer Zigarette gezogen. »Ich werde mit dem Herzen dabei sein.«

 
    A ls das Gespann am Gartentor gehalten hat, hat Marlène die Stirn gerunzelt und gemeint: »Was ist denn das?« Sie ist aufgestanden, das Geschirrtuch über der Schulter, und hat geschrien: »Was wollen Sie?«
    »Das sind meine Freunde«, habe ich gesagt. »Sie kommen uns abholen.«
    Cédric und Olivier sind in der gleißenden Mittagssonne von ihrem Ross gestiegen. Sie sahen aus wie zwei echte Westernhelden, Dick und Doof à la John Wayne.
    Marlène hat halblaut gemurmelt: »Was sind das denn für Penner?«
    Olivier hat mir ein Zeichen gegeben, und ich habe unsere Sachen aus dem Haus geholt. Bertrand hat seinen Bruder zum Abschied umarmt, er wirkte gerührt.
    Marlène meinte nur: »Ich habe geschwitzt, ich umarme euch lieber nicht!«
    Als wir endlich startklar waren, hat sich Cédric zu uns herunter gebeugt und Roswell gefragt: »Alles okay?«
    »Okeh-Scheff!«
    Olivier hat uns breit angegrinst: »Alles klar, dann kann’s ja losgehen!«
    Und Roswell hat gesagt: »Sssuper!«
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