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Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge
Autoren: Marie-Sabine Roger
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immer zu laut läuft, den langen Tagen, die nirgendwohin führen.
    Aber in der Zwischenzeit schien die Sonne, wir hatten eine lange Fahrt vor uns und jede Menge zu entdecken.

 
    W er nie mit jemandem wie Roswell gereist ist, hat keine Ahnung, was das Wort Abenteuer tatsächlich bedeutet.
    Regelmäßige Pinkelpausen am Straßenrand mit einem sich schlapplachenden Fötus, der jedes Mal kaum aus seinem Beiwagen zu kriegen war, das Ganze begleitet von den entsetzten Blicken der Autofahrer. Rastplätze, die sich in Gratistheater verwandelten, mit spritzendem Ketchup, dröhnenden Sssuuper! -Rufen, wechselnden Gesangseinlagen zum Thema Abfahrt, Ankunft oder Pause, Cola in der falschen Kehle, betretenen Touristen und gelassenen Bemerkungen des Zackenbarschs: »Du bist nicht zufällig manchmal ein bisschen ungeschickt, oder?«
    »Nnur’n bissschhen …«
    Bei der ersten Rast hat Olivier die Gelegenheit genutzt, um ein paar Bierchen zu zischen.
    »Du solltest nicht so viel saufen, wenn du fährst«, hat Cédric halbherzig gemeint.
    »Ich saufe nicht, ich nehme Gewicht aus den Seitentaschen. Das spart Sprit. Und was hast du gegen das Sterben? Findest du dein Leben etwa schön?«
    »Du bist manchmal echt plump, weißt du?«
    »Ich bin nicht manchmal plump, sondern immer, bei meinem Gewicht. Unterschätz mich nicht, das beleidigt mich!«
    Cédric hat es schließlich aufgegeben und auf der Karte die Route studiert.
    Während Olivier also das Gespann um etwas Ballast erleichterte, betrachtete Roswell die Wolken und die Landschaft um uns herum. Bevor es weiterging, hat Olivier ihn ein bisschen am Straßenrand entlanglaufen lassen. Ich habe ihm die Beine und die Arme massiert, um ihn zu lockern und den Saft in seinen Gliedern in Schwung zu bringen.
    Dann sind wir weitergefahren. Und Roswell deklamierte Gedichte.
    Wir haben sieben Stunden gebraucht bis zu unserem Ziel.

 
    C lo erwartete uns vor ihrem Haus.
    Sie hatte uns sicher schon von weitem gesehen. Hier in der Gegend hat der Horizont viel Platz. Alles ist weit und ruhig. Etwas zu weit und zu ruhig, wenn man Städte mag.
    Am Telefon hatte ich Clo ein bisschen von Roswell, Olivier und Cédric erzählt, aber ohne ins Detail zu gehen. Wie sollte man Roswell auch beschreiben? Es war mir lieber, sie würde alle drei so entdecken, wie sie wirklich waren.
    Ich konnte mir den ersten Schock gut vorstellen.
    Schon allein die Maschine. Ein Gespann in Schwarz und Rot, mit Anhänger. Nicht gerade alltäglich.
    Dann die vier Eierköpfe, zu denen ich gehörte, alle in einem Korb.
    Cédric ist als Erster abgestiegen. Er ist um das Gespann gegangen, um die Planen loszumachen. Ich bin aus dem Beiwagen gesprungen und gleich zu Clo gelaufen.
    Während Cédric die Taschen und alles andere auslud, hat sich Olivier um Roswell gekümmert. Er hat ihn mit seinen Geburtshelferpranken sanft aus dem Beiwagen bugsiert. Roswell war von der Reise völlig erschöpft, die Schlaglöcher, die Aufregung, die Landschaft. Er war schlaff, benommen, und konnte sich kaum auf den Beinen halten. Ich habe gehört, wie Olivier ihn etwas fragte, und Roswell hat nur noch den Kopf schräg nach oben geworfen, um ja zu sagen.
    Clo sah mich nicht an, wir beide würden später reichlich Zeit zum Reden haben. Im Moment wirkte sie völlig fasziniert, im Bann des Schauspiels, das sich ihr bot.
    Cédric, zierlich wie ein schwarzer Flamingo, etwas steif auf seinen langen, dürren Beinen.
    Roswell, dieser seltsame Troll mit seiner zu kleinen Schirmmütze auf dem Kopf, der sie unter Aufbietung all seiner Zähne und seines rosa Zahnfleischs angrinste.
    Olivier in seiner ganzen Pracht, groß und ungeheuer dick. Den Helm in der Ellenbeuge, die langen Haare, der spärliche Bart, die Bikerstiefel mit Sporen und die weit offenstehende Lederjacke, die den imposanten Bauch mit den roten Flammen entblößte.
    Er kam langsam auf uns zu, den Blick starr auf Clo gerichtet. Und mir war, als würde ich sie mit seinen Augen sehen. Groß, dick, prall, ausladend. Üppig und kräftig wie eine Eiche. Fest wie eine XL-Latexmatratze. Ein Traum von Behaglichkeit, Sanftheit und Weiblichkeit.
    Ich vermied es, mich zu ihr umzudrehen. Ich kenne sie, die Gute. Sie gehört zu den Frauen, die Fleisch und Fett über den Muskeln wollen, Polster und Speckfalten. Für sie müssen Männer wie Federbetten sein, breit, weich und bequem.
    Während Cédric weiter den Anhänger auslud und unsere Taschen zu einem Haufen stapelte, blickte er verloren um sich herum. Das hier
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