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Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge
Autoren: Marie-Sabine Roger
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die Postkarten, die sie auf der Terrasse des Höhenrestaurants an die Nachbarinnen schreiben würde, Schönes Wetter und wunderbarer Urlaub, liebe Grüße.
    Wenigstens ein Mal hätte sie etwas zu erzählen.
    »Ich sage dir bis Ende nächster Woche Bescheid. Versprochen.«
    Marlène hat mit einer ganz kleinen, seltsam ergebenen Stimme »Ja« gesagt, ohne weiter zu drängen, ohne mehr wissen zu wollen, was verriet, wie ergriffen sie war.
    Später bin ich in die Stadt gegangen und habe Kaan besucht. Er ist schön, er ist zärtlich. Er ist genau das, was ich brauche.
    Morgen reist er nach Antalya, um eine Weile bei seiner Familie zu sein. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn danach wiedersehen werde. Das habe ich ihm aber nicht gesagt.
    Ich mag keine Abschiede.
    Ich habe über Marlènes Urlaub nachgedacht, darüber, wie ich Roswell hüten könnte.
    Und da hat es plötzlich klick gemacht. Glasklar.
    Das Heureka.
    Ich habe Cédric angerufen, um ihn zu fragen, ob er einen Moment Zeit hätte. Ich wollte ihm meine Idee unterbreiten. Wir haben uns im Pyrénées getroffen.
    Der Wirt muss in einem früheren Leben Trapper, Biber oder Karibu gewesen sein: Er hat seine Kneipe in eine Blockhütte verwandelt, überall Holz, Schlitten und Schneeschuhe an den Wänden, Plüschmurmeltiere und falsche ausgestopfte Gamsköpfe. Ein echter Kamin, in dem dicke Holzscheite brennen. Ein Ort, an dem man sogar im Juli Raclette essen würde.
    Als ich am Abend zurückkam, duftete es im ganzen Haus. Nach frischgebackenem Kuchen, der mich an meine Kindheit erinnerte und mir sofort das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Marlène hatte einen Cake mit kandierten Früchten mitten auf den Tisch gestellt.
    Sie hatte auf meine Rückkehr gewartet. Und auf meine Reaktion, das war nicht zu übersehen.
    Ich habe gelächelt und »Mjam!« gesagt. Das war kein bisschen übertrieben.
    Marlène hat sich aufgeplustert und verkündet: »Für dein Frühstück morgen!« Und als müsste sie sich für dieses verdächtige Geschenk rechtfertigen: »In deinem Alter soll man morgens nicht mit leerem Magen aus dem Haus gehen, das ist ungesund. Ich weiß nicht genau, warum …«
    »Wegen der Verdauung vielleicht.«
    »Ja, genau, deswegen!«
    Als Bertrand von der Arbeit kam, hat er dem Cake, der auf dem Tisch thronte, interessierte Blicke zugeworfen. Aber Marlène hat ihm sofort einen Dämpfer verpasst.
    »Der ist für die Kleine!«, hat sie in einem Ton gesagt, der nicht die geringste Knabberei erlaubte.
    Er hat weder geantwortet noch irgendeinen Versuch unternommen. Er hat einen auf Tobby gemacht – müder Lidschlag und hängende Schnauze.
    Beinahe hätte ich ihm selbst ein Stück abgeschnitten, wenn ich nicht für ihn befürchtet hätte, dass er auf den Teppich krümeln würde.
    Ich habe zur Kenntnis genommen, dass ich Marlènes »Kleine« geworden war, und mich gefragt, ob diese ganz neue Herzlichkeit nicht zufällig etwas mit unserem Gespräch am Nachmittag zu tun hatte.
    Ich habe beschlossen, mir darauf keine Antwort zu geben.
    Ob es so ist oder nicht, ist letztlich egal. Ich stehe nicht zur Adoption frei.

 
    I ch musste das Projekt lange in meinem Kopf hin und her wälzen, um es aus allen denkbaren Blickwinkeln zu betrachten. Und davon gab es einige.
    Ich hatte mit Cédric geredet. Er hat mit Olivier gesprochen.
    Dann haben wir uns alle drei getroffen, an mehreren aufeinanderfolgenden Abenden, am Kanal, in der Brasserie, in Oliviers Garage. Ich habe ihnen vorgeschlagen, einen Teil der Reise zu finanzieren und die Route zusammenzustellen. Und am Ende des Weges gab es einen Ort, um die Zelte aufzuschlagen, so viel war sicher.
    Danach würde ich mit ihnen zurückfahren, um mich endgültig von Marlène und Bertrand zu verabschieden und aufzubrechen. Zu neuen Abenteuern, neuen Begegnungen und neuen Zielen.
    Olivier schien bereit und sogar ziemlich motiviert. Ich hörte ihn nicht mehr ständig sagen, es wäre ihm alles scheißegal oder ihm würde alles am Arsch vorbei gehen.
    Zu Hause strich Marlène um mich herum und traute sich nicht, mir die alles entscheidende Frage zu stellen, aber ich spürte, dass sie ihr auf den Lippen brannte. Nach dem Cake bekam ich hausgemachten Honigkuchen, Schokotörtchen und »schwimmende Inseln«, gebackenen Eierschnee auf Vanillesauce.
    Dank meiner Fürsprache durfte Bertrand auch probieren, aber nicht nachnehmen – die überflüssigen Kilos kommen nämlich ohne Vorwarnung.
    Marlène dagegen tat sich keinen Zwang an, sie griff zu und
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