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Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge
Autoren: Marie-Sabine Roger
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sagte dabei jedes Mal: »Ich kann mir das leisten, ich habe einen guten Stoffwechsel!«
    Eines Abends schließlich, bevor Bertrand nach Hause kam, habe ich Marlène gesagt, dass ich einverstanden wäre, mich während ihres Urlaubs in den Bergen um Roswell zu kümmern. Ich habe gedacht, sie würde mir sofort um den Hals fallen. Um ihr den Schwung zu nehmen, habe ich gleich hinzugefügt: »Ich bin bereit, mich um ihn zu kümmern, aber unter der Bedingung, dass die Sache in zwei Wochen stattfindet, wenn mein Arbeitsvertrag ausgelaufen ist. Weder früher noch später. Ich will hier keine Zeit vertrödeln. Und ich will mich nicht um Tobby kümmern müssen. Finde jemanden, der das übernimmt.«
    Marlène hat gepiepst: »Aber klar, natürlich! Was denkst du denn?« Dann ist sie zum Telefon gestürzt, falls ich es mir noch mal anders überlegen sollte.
    Sie hat das Hotel Edelweiß angerufen, zwei Sterne, Schwimmbad, im Herzen des Kurorts , um das Zimmer zu reservieren, »zwei Personen, mit Halbpension«, das Bertrand im Internet gewonnen hatte. In der Nebensaison war das kein Problem. Dann hat sie Madame Aulincourt angerufen, die so tierlieb ist. Als sie wieder auflegte, strahlte Marlène. Alles renkte sich endlich ein in ihrem Hundeleben.
    Ich habe die Freundlichkeit so weit getrieben, dass ich ihr dank Google ein paar Fotos von Brides-les-Bains gezeigt habe. Ich habe sie sogar einen virtuellen Rundgang durch das Hotel Edelweiß machen lassen. Die Zimmer mit Balkon, die Sauna, das Schwimmbad. Für das Schwimmbad würde sie sich schließlich doch noch einen Badeanzug kaufen müssen.
    »Ich werde bei Cora schauen, die haben die richtigen Größen!«
    Marlène spricht nie von »großen« Größen.
    Beim Anblick der Fotos des Ortes, der Seilbahn und der Panorama-Ansichten geriet sie in helles Entzücken. Sie rief »Oh!« und »Ah!« und machte einen Mund wie ein Hühnerpopo kurz vorm Eierlegen. Es war so schön wie in ihren Träumen. Sie würde mir niemals genug danken können. Ich habe ihr sofort das Gegenteil bewiesen, um etwas Druck aus der Sache zu nehmen: »Du kannst mir ja im Tausch für die letzten zehn Tage die Miete erlassen.«
    Sie schwebte so hoch auf ihrem rosa Wölkchen, dass sie ohne jede Diskussion zugestimmt hat.
    Es geht mir nicht um das Geld, das ich damit spare, sondern ums Prinzip. Ich hüte mich vor selbstlosen Taten. Im Kopf der meisten Menschen ist das, was nichts kostet, auch nichts wert. Ich will, dass sie für Roswell bezahlt. Um ihm Bedeutung zu verleihen.
    Und ich will auch keine Dankbarkeit von ihr. Dienste, die man anderen erweist, vor allem wenn man sie schlecht kennt, sind wie Ketten, in beide Richtungen. Ich möchte keine Schulden haben und auch keine Schuldner. Wir werden lastenfrei auseinandergehen.

 
    D ie ganze nächste Woche hing Marlène am Telefon und riskierte einen Tennisarm, um all ihren Freundinnen, die nicht auf die Idee gekommen wären, sie danach zu fragen oder in nächster Zeit einzuladen, mitzuteilen, oje, es täte ihr furchtbar leid, aber vom 22. bis 29., da hätte sie keine Zeit, weil sie im Urlaub wäre. Sie erklärte laut und in leicht blasiertem Ton, sie und Bertrand hätten beschlossen, endlich mal eine Woche in die Berge zu fahren.
    Ich hörte, wie sie ausführlich das Hotel Edelweiß beschrieb – sehr schick, sehr gemütlich –, das Schwimmbad, die Zimmer. Und dann das Kasino, die Seilbahn, die Thermen, den Ort.
    »Ein Olympia -Ort!«
    Darauf ritt sie besonders gern herum.
    »Brides-les- Bains , ja, ja, wie ein Badeort! Es gibt sicher Leute, die glauben, das ist am Meer, bei dem Namen! Haha! Aber nein, es ist in den Savoyer Alpen. Ich schwör’s dir.«
    Ich sah ihr zu, wie sie sich verausgabte, Taschen und Koffer durch die Gegend trug, Unmengen von Kleidern auf den Sesselarmlehnen stapelte.
    »Es ist doch noch Zeit! Ihr fahrt erst in zwei Wochen.«
    »So eine Reise will vorbereitet sein. Das macht man nicht einfach drauflos, ins Blaue hinein.«
    »Ja, sicher, ich habe da keine Erfahrung …«
    »Ich hab mir eine Liste gemacht, um nichts zu vergessen.«
    Sie lief zwischen Schlafzimmer, Bad und Wohnzimmer hin und her, die Stirn gerunzelt und die Liste fest in der Hand. Sie murmelte halblaut vor sich hin, und wenn sie an mir vorbeikam, hörte ich: »Pullover, Socken, Zahnpasta …«
    Sie wurde etwas geduldiger, sogar mit Roswell.
    Abends wischte sie ohne ein Wort die Tischdecke ab oder putzte mit dem Mopp um seine Füße herum, wenn er wieder mal Airbrush-Kunst
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