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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache
Autoren: C.J. Sansom
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längst aufgegeben.«
    Ich beugte mich nach vorn, legte den Ellbogen auf die Knie und sah sie an. »Warum habt Ihr es zugelassen, Emma?«
    »Zunächst eigentlich nur, um mich vor einer Ehe mit David zu retten. Doch dann – als Knabe, da erkannte ich, um wie viel mächtiger ein männliches Kind in der Welt ist. Und –« Nach kurzem Zögern fuhr sie fort – »und auf merkwürdige Weise war es mir, als könnte ich meinen Bruder am Leben erhalten, wenn ich seine Kleider trug und vorgab, ich wäre er. Könnt Ihr das verstehen?«
    »Vielleicht. Aber später – du hättest deine Identität wieder wechseln und dein Land zurückfordern können. Die Hobbeys wären machtlos gewesen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich schon viel zu lange für Hugh ausgegeben und fürchtete den Skandal. Und eine entstellte Frau, allein auf der Welt, hat wenig Macht, auch wenn sie vermögend ist. Weit weniger als ein Mann. Und ich wollte doch unbedingt Soldat werden.« Sie lachte freudlos. »Was bin ich, frage ich mich? Vielleicht etwas Neues auf dieser Welt?«
    Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Wir schwiegen eine Weile, dann meinte Emma: »Angeblich haben sie die Versuche aufgegeben, die
Mary Rose
zu bergen. Die Masten sind umgestürzt, sie hat sich im Schlick eingegraben. Mit den sterblichen Resten all der Männer, Gott hab sie selig.«
    Wir schwiegen wieder. Dann fragte ich: »Was wollt Ihr jetzt anfangen? Wie gesagt, Ihr habt die Wahl. Das ist es, was ich Euch ermöglichen wollte. Der Court of Wards hat mir gestattet, Euer Vermögen zu verwalten, drei Jahre lang, aber sagt es mir, wenn Ihr Geld braucht, wie viel es auch sei. Es gehört Euch. Ihr habt es weiß Gott verdient nach allem, was es Euch gekostet hat. Ich habe es sicher verwahrt, in alten Goldmünzen, um es vor der endlosen Entwertung zu schützen.«
    Emma schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, Master Shardlake. Es gefällt mir in meinem Quartier. Ich dachte, es sei schwieriger, in der Stadt als Junge durchzugehen. Aber niemand sieht einen zweimal an, man kann sich leicht einfügen. Danke übrigens, dass Ihr mir das Geld habt zukommen lassen, um mir diese Bücher zu kaufen.«
    »Ihr könnt Euch kaufen, was immer Ihr wollt. Ihr seid reich.«
    »Und dennoch weiß ich noch immer nicht, wer oder was ich bin. Aber ich will keine Frau sein, keines dieser fügsamen, unterwürfigen Geschöpfe in ihren unbequemen Kleidern.«
    »Du solltest Tamasin kennenlernen, Baraks Frau, niemand käme auf den Gedanken, sie unterwürfig zu nennen. Und auch eine Frau kann, sofern sie vermögend ist, unabhängig sein.«
    Da seufzte Emma und blickte beiseite. Sie sagte: »Da ist ein Bursche, er wohnt im selben Haus. Ich habe mich schon einige Male auf ein Bier mit ihm getroffen. Ich – ich mag ihn. Er heißt Bernard.« Sie errötete leicht, wobei ihre Narben sich bleich abzeichneten, und fügte hinzu: »Aber ich habe Angst, dass er die Wahrheit erraten könnte, so wie Feaveryear. Die Liebe«, sagte sie bitter, »die Liebe ist gefährlich.«
    »Emma, im Augenblick fiele es Euch schwer, die Identität einer Frau anzunehmen, das weiß ich. Aber ich habe nachgedacht. Jacks Frau Tamasin könnte Euch helfen, sie könnte Euch zeigen, wie eine Frau sich kleidet und beträgt. Bei ihr ist Eure Geschichte sicher, und Ihr würdet sie mögen, ganz gewiss.«
    »Hat sie denn kein neugeborenes Kind?«
    »Das schon. Aber sie würde Euch trotzdem gern helfen, so viel ist sicher.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann den Gedanken nicht ertragen, ein anderer Mensch zu werden. Nicht schon wieder. Ganz gleich wie gut und freundlich Tamasin ist, ich wäre an jene Tage erinnert, als Hobbey und Fulstowe mich lehrten, Hugh zu mimen. Und wieder in Röcke zu schlüpfen brächte mir das hoffnungslose, hilflose Gefühl zurück, das mich befiel, als mein Bruder starb.«
    »Aber jetzt habt Ihr doch Geld –«
    »Selbst wenn ich es wollte, ich könnte es nicht.« Sie holte tief Luft. »Master Shardlake, ich habe mir überlegt, ins Ausland zu gehen, vielleicht in die Niederlande, fort von England. Vielleicht versuche ich sogar, an einer der Universitäten dort zu studieren. Ich könnte kein Soldat mehr sein, nicht nach dem, was geschehen ist.«
    »Nein.«
    »Ich glaube, Ihr hattet recht, vielleicht bin ich zum Gelehrten geboren. Aber weibliche Gelehrte gibt es nicht, oder?«
    »Es gibt belesene Frauen. Die Königin selbst hat ein Buch verfasst, und Lady Elizabeth –«
    Emma
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