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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache
Autoren: C.J. Sansom
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Boden unter meinen Füßen ins Wanken. Ich ging weiter zum Grab meines Freundes Roger; die Regenfälle im Herbst hatten schmutzige Streifen auf den Marmor gebracht. Ich würde einen der Jungen herschicken, ihn zu säubern. Simon würde mein Haus bald verlassen, als Lehrling eines Tuchhändlers; ich hatte mit dem Ratsherrn Carver eine Übereinkunft getroffen. Ich erinnerte mich, wie ich nach Rogers Tod dessen Witwe hatte heiraten wollen. Ich hatte nichts gehört von Dorothy in den vergangenen Monaten. Auch nicht von der Königin oder Warner; doch das hatte ich auch nicht erwartet.
    Eine Bank stand vor der alten Kirche. Ich wischte ein paar Blätter fort und ließ mich darauf nieder. Ich blickte hinüber zur Friedhofsmauer und dachte wieder an die Waffenübung, die im Juni auf den Feldern dahinter stattgefunden hatte. Die Franzosen hatten den Plan, in England einzufallen, mittlerweile aufgegeben, ihre Flotte war nach Frankreich zurückgekehrt, wo die Stadt Boulogne noch immer unter Belagerung stand; englische Truppen in der Stadt, die französische Armee davor. Alles eine sinnlose Zeitverschwendung. Gerüchten zufolge hatte der König endlich eingesehen, dass sein Unterfangen gegen die Franzosen gescheitert war, und war bereit, im neuen Jahr ein Friedensabkommen zu treffen.
    Ich blickte zur Friedhofspforte. Dieses Mal war ich nicht zum Nachdenken hergekommen, sondern eines Treffens wegen, das besser abseits neugieriger Blicke stattfand. Während ich noch darauf wartete, öffnete sich die Pforte, und eine hochgewachsene, schlanke Gestalt in einem schweren Mantel und mit dunkler Kappe schritt auf mich zu. Emma Curteys betrug sich noch immer wie ein Mann, kleidete sich wie einer und sah auch wie einer aus. Ich bot ihr einen Platz neben mir. Sie saß einen Augenblick lang schweigend da, ehe sie sich mir zuwandte und mich fragend ansah. Ihr narbiges Gesicht war bleich.
    »Erledigt«, sagte ich.
    »Gab es Schwierigkeiten?«
    »Keine, da sich alle einig waren. Dyrick war zugegen und beglaubigte Hobbeys Einverständnis in den Verkauf der Vormundschaft. Und Edward Priddis bestätigte die Schätzung Eures Besitzes. Er ist seit dem Tod seines Vaters im September Lehnsrichter in Hampshire. Sir William Paulet erhob ebenfalls keine Einwände, also ist alles erledigt.« Ich lächelte unbehaglich. »Ihr, oder vielmehr Hugh Curteys, seid jetzt mein Mündel.«
    Sie sagte still: »Ich danke Euch.«
    Emma war im August in meiner Kanzlei erschienen. Zum Glück war ich anwesend, denn Skelly hätte den dünnen, schmutzigen Burschen abgewiesen, der sich nach mir erkundigt hatte. Emma habe eigentlich nicht kommen wollen, erzählte sie mir, doch einen Monat ohne einen Penny auf der Straße, das Stehlen in Bauernhäusern, habe sie zermürbt und ihren Stolz besiegt. Ich hatte ihr Geld gegeben und ihr eine Unterkunft in der Stadt besorgt, bis die Übertragung der Vormundschaft bewilligt wäre.
    Ich sprach zögernd. »Auch Hobbey war da, falls er gebraucht würde. Kloster Hoyland ist an Sir Luke Corembeck verkauft worden.«
    Emma sah mich an. »Wie geht es David?«
    »Er kann schon ein wenig gehen. Doch er hatte wieder mehrere Anfälle. Hobbey lässt ihn nicht aus den Augen; der Arzt, mit dem ich befreundet bin, meint, er behüte ihn zu sehr.« Ich sah sie an. »Er ist noch immer ganz krank vor Schuld und Schmach.«
    »Master Hobbey hatte schon immer den Drang, andere herumzukommandieren.« Nach kurzer Pause sagte Emma, mit jäher Leidenschaft: »Und doch denke ich immerzu an David, an das, was ich getan habe. Ich würde es wiedergutmachen, wenn ich könnte.«
    »Ich weiß.«
    »Und die Soldaten – sie gehen mir nicht aus dem Kopf, oft träume ich davon, wie sie ins Wasser stürzen, von den Schreien derer, die unter dem Netz gefangen waren.«
    »Ich ebenso.« Ich hatte Emma nie erzählt, dass eigentlich eine andere Kompanie auf der
Mary Rose
hätte Dienst tun sollen, hätte Rich nicht die Hand im Spiel gehabt. Ich wollte nicht, dass sie meine nicht enden wollenden Schuldgefühle teilte. Ich dachte an Leacons Eltern in Kent, die ich besucht hatte, um ihnen zu sagen, dass ihr Sohn tot sei, und um ihnen finanziell unter die Arme zu greifen. Die beiden alten Leute waren völlig gebrochen gewesen.
    Emma sagte: »Ich danke Euch, Master Shardlake. Verzeiht, dass ich zunächst kein Vertrauen zu Euch hatte. Ich glaubte nicht, dass jemand in der Lage wäre, mich von Hoyland und den Hobbeys fortzuholen, und inzwischen hatte ich den Wunsch, sie zu verlassen,
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