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Der Parasit: Kurzgeschichte

Der Parasit: Kurzgeschichte

Titel: Der Parasit: Kurzgeschichte
Autoren: Karin Slaughter
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gesprochen.«
    »Heute ist dein Glückstag, Wayne. Ein neuer Tag. Was immer gestern Nacht passiert ist, ist Geschichte. Okay? Heute, das ist einfach Lunch mit Willie, morgen vielleicht wieder – und wer weiß, was daraus wird. Vielleicht haltet ihr am Ende der Woche schon Händchen.«
    Er hatte Recht! Mir wurde schwindelig vor Glück. Fühlte es sich so an, eine Frau im Leben zu haben? Ging es einem so, wenn man wusste, dass man mittags mit einer Person essen würde, die Brüste hatte? »Wir haben tatsächlich mit ihr geredet, Kirk. Das war ein Gespräch. Wir sind zum Lunch verabredet!«
    »Genau. Sie mag dich, Wayne. Hast du gesehen, wie sie dich angeschaut hat?«
    »Sie hat mich tatsächlich angeschaut, oder?«
    »Du Tiger. Ich wusste ja gar nicht, was du für einer bist.« Er tätschelte meine Halbschulter. Ich will ganz ehrlich sein: Mit hoch erhobenem Kopf ging ich an der Kabinenreihe entlang. Noch nie im Leben war ich so stolz auf mich gewesen. Ich hatte das große Los gezogen. Ich war der König von Dixie.
    Wir setzten uns an unseren Schreibtisch. Kirk öffnete die Aktenmappe und nahm das Headset und seinen Stift heraus. Erst mitten im ersten Telefongespräch wurde mir bewusst, dass Kirk mit Williegesprochen hatte. Nicht ich.
    »Was ist?« Er drehte den Kopf zu mir. Die Hand legte er über das Mundstück des Headsets.
    Ich deckte mein Mikro ebenfalls ab. »
Du
hast mit ihr geredet.«
    »Aber heute Mittag spricht sie mit dir. Du kannst dabei sogar ihre Brüste anstarren.«
    »Sie wird mit dir reden. Alle reden immer nur mit dir.«
    »Hör auf zu quengeln wie ein Baby, Wayne. Sie mag dich. Lass es einfach auf dich zukommen. Mach etwas daraus. Denk an die Zukunft.«
    Ich hörte in meinem Kopfhörer jemanden schreien. Eine Frau beschimpfte mich, weil ich ihren Kleinen aus dem Vormittagsschlaf gerissen hatte. Ich zog den Stecker aus der Telefonkonsole. Die Erinnerung, wie ich gestern den Stecker aus der Multimediaanlage des Town and Country gezogen hatte, flackerte vor mir auf. Marmee weinte, weil Beth Scharlach hatte, und dann schrie Kirk Mindy an, sie hätte mich angefasst.
    Hatte sie mich angefasst? Vielleicht war es ein Versehen gewesen. Vielleicht war ihre Hand über meine Brust geglitten, ohne dass sie merkte, was sie da tat. Nicht zusammengewachsenen Menschen passierte so was vermutlich ständig. Einen Körper ganz allein zu steuern war sicher nicht leicht. Zwei Arme, zwei Beine. Ein Gehirn. Vielleicht hatte ihre Hand meine Brustwarze nur zufällig gestreift. Seien wir ehrlich – kein Mensch erwartet an dieser Stelle einen Nippel.
    Aber
hatte
sie mich dabei angesehen? Sie hatte mir in die Augen geschaut und dann hatte Kirk sie umgebracht. Er hatte sie mit der Faust geschlagen. Und dabei so laut geschrien, dass unser Magen sich zusammenzog und unser Herz zuckte.
    Ich sagte: »Du hast mit Willie geredet, damit ich nicht die Polizei anrufe.«
    »Und sie hat dir geantwortet. Das ist viel wichtiger.«
    »Sie hat mich ja kaum wahrgenommen.«
    Kirk schüttelte den Kopf. »Wir werden uns nicht stellen. Du warst schon mal im Knast, Wayne. Willst du noch mal dort hin?«
    »Das war eine Arrestzelle, kein Knast.«
    »Und? Hat es dir gefallen?« Er sah meinen Gesichtsausdruck und lachte schnaubend. »Verdammt, Wayne. Wenn du glaubst, dass das deine einzige Chance ist, mal flachgelegt zu werden …«
    »Mindy Connor hat eine Familie. Sie sagte, sie hätte einen Bruder. Sicher gibt es auch eine Mutter und einen Vater. Wahrscheinlich fragen die sich jetzt, wo sie ist.«
    »Vermutlich denken die, dass sie gerade dabei ist, ein paar Kerlen einen zu blasen. Für Zehndollar-Tüten Gras.«
    »Sprich nicht so von ihr. Sie war ein Mensch.«
    Er wurde still. Ich hörte das Gemurmel der Telefonisten um uns herum. Einsame Menschen in Kabinen, die junge Mütter anriefen, deren Kinder gerade schliefen, und sie fragten, ob sie mit ihrer Versicherungsgesellschaft zufrieden seien.
    Kirks tiefes Knurren vibrierte in unserer Brust. »Sie hat uns Missgeburten genannt.«
    »Sie hat
dich
eine Missgeburt genannt.«
    Wieder schwieg er. Doch das Knurren blieb. Ich hatte dieses Bild von Mindy Connor und ihrer Familie im Kopf. Es war Weihnachten und sie trugen alle die gleich rot und grün gemusterten Pullover mit einer Rentierstickerei auf der Brust. Ihre Großmutter hatte sie gestrickt. Sie war jetzt im Altenheim, aber nach dem Gebet und dem Truthahnessen würden sie sie dort besuchen.
    Kirk räusperte sich. »Wayne, hör zu. Es war ein Fehler.
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